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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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Ahnung, was wir ohne sie anfangen sollen. Ihr Team ist am Boden zerstört.» Er sah trübsinnig zu ihr herunter. «Ich habe keine Ahnung, was
ich
ohne sie anfangen soll. Sie hat den ganzen Laden am Laufen gehalten. Offiziell war sie meine Stellvertreterin, aber in Wahrheit hat sie wohl eher dafür gesorgt, dass ich das Richtige tue.»
    Das nahm Vera für ihn ein. Hinter all den Phrasen und dem Ehrgeiz steckte schließlich doch ein Mensch. Und als er zu seinem Räucherlachsbaguette noch einen Teller Pommes frites bestellte, schloss Vera ihn beinahe schon ins Herz.
    «Sie war also gut in ihrem Job?»
    «Das ist die Untertreibung des Jahres.» Er tunkte ein Pommes frites in eine Schale mit Mayonnaise. «Wenn sie gewollt hätte, hätte sie Abteilungsleiterin im Sozialamt werden können. Sie war blendend organisiert, eine hervorragende Ausbilderin und beängstigend klug.»
    «Warum ist sie dann nicht befördert worden?» Vera hatte noch nie so recht an Heilige geglaubt. Warum war Jenny Lister an der Front geblieben, anstatt die Gelegenheit zu ergreifen und Leiterin einer Abteilung zu werden?
    «Sie wollte nicht», antwortete er. «Sie hat gesagt, sie bräuchte weder das Geld noch den ganzen Ärger. Und sie würde die Arbeit mit ihren Schützlingen und den Pflegefamilien vermissen. Sie würde die Kinder vermissen.»
    «Haben Sie ihr geglaubt?»
    Entsetzt blickte der Mann auf. «Aber natürlich! Jenny Lister hat nicht gelogen.»
    Stimmt nicht, dachte Vera. Wir lügen alle. Sonst könnten wir gar nicht überleben. Nur dass einige von uns es besser können als andere. Jenny Lister muss eine umwerfende Lügnerin gewesen sein.
    Der Mann fuhr fort. «Sie hat es genossen, die begabteste Sozialarbeiterin der ganzen Gegend zu sein. Vielleicht hat sie gewusst, dass sie als Abteilungsleiterin nicht so gut wäre. Und die Zweitbeste hätte sie nicht sein wollen.»
    «Was wissen Sie über ihre Familie?», fragte Vera. «Kam sie hier aus der Gegend?»
    Er schaute von seinem Teller hoch. «Jawohl, waschecht aus Northumberland. Zum Studieren ist sie in den Süden gegangen, aber den Rest ihres Lebens hat sie hier verbracht.»
    «Leben ihre Eltern noch?» Wenn sie von hier sind, hat Jenny sich ihnen vielleicht anvertraut. Und vielleicht können sie Hannah ja für eine Weile zu sich nehmen.
    «Nein», sagte er. «Sie hat nie darüber gesprochen, aber meine Frau schwärmt für die Geschichte dieser Gegend hier und ist in einer alten Ausgabe des
Hexham Courant
auf die Sache gestoßen. Jennys Vater war Anwalt und hat anscheinend seine Klienten betrogen. Er hat sich das Leben genommen, bevor das Ganze vor Gericht kam. Die Mutter hat danach noch ein paar Jahre gelebt, aber sie war wohl nicht mehr die Alte. Sie konnte die Schande nicht ertragen. Ich glaube, sie war irgendwo an der Küste in einem Heim. Vor etwa zehn Jahren ist sie gestorben. Ich weiß noch, dass Jenny zur Beerdigung gegangen ist.»
    Noch eine Frau mit einem Halunken zum Vater, dachte Vera. Vielleicht hätten sie und Jenny ja doch etwas gemein gehabt.
     
    Als sie sich auf dem Weg zurück ins Revier auf dem breiten Bürgersteig durch die Menge der Marktbesucher kämpfte, piepste Veras Handy, um anzuzeigen, dass sie eine SMS bekommen hatte. Das mit den SMS verstand sie immer noch nicht so recht. Warum rief man nicht einfach an und hinterließ eine Nachricht? Sie brauchte wirklich eine Brille, war aber zu eitel und zu chaotisch, um einen Sehtest machen zu lassen, und hier, mitten auf der überfüllten Straße, konnten keine zehn Pferde sie dazu bringen, die SMS zu entziffern. Die alten Bauern und die Damen vom Lande würden sie nur umrennen.
    In ihrem Büro machte sie sich erst mal Kaffee, bevor sie auf dem Handy nachschaute. Die Nachricht war von Simon Eliot. Natürlich, die jungen Leute kommunizierten ja auf diese Weise.
Jennys Freundin Anne ist aus dem Urlaub zurück. Würde gern mit Ihnen reden.
Und eine Telefonnummer.
    Sie wollte Anne Mason gerade anrufen, als es auf ihrem Festnetzanschluss klingelte. Das war Holly, die eben aus dem Leichenschauhaus zurückgekommen war, wohin sie Hannah begleitet hatte. Sie sprach in einer Art Bühnenflüstern. «Ist es in Ordnung, wenn ich noch bei ihr bleibe, Chefin? Sie ist echt mit den Nerven am Ende. Sie ist doch noch ein Kind.» Lag da etwa der Hauch eines Vorwurfs in ihrer Stimme? Weil Vera ein herzloses Biest war und sich nicht besser um das Mädchen kümmerte?
    «Natürlich, wenn sie Sie bei sich haben möchte.»
    «Sie ist so fertig,

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