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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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Vor kurzem erst haben wir einen sechswöchigen Flamenco-Kurs zusammen gemacht, das war ein Riesenspaß, obwohl Jenny viel besser darin war als ich. Aber normalerweise sind wir einfach zu Hause geblieben. Haben hier oder bei ihr zu Abend gegessen. Im Sommer sind wir spazieren gegangen, wenn schönes Wetter war.» Anne sah plötzlich unglücklich aus, und Vera wurde klar, dass ihr in dem Moment aufging, dass es nun keine fröhlichen Mittwochabende mehr geben würde. Nichts, worauf sie sich freuen konnte, nichts, was die Woche unterbrach. Im nächsten Augenblick fühlte sie sich offensichtlich schuldig, dass sie etwas so Selbstsüchtiges gedacht hatte. Doch Vera hatte Schuldgefühle schon immer für stark überbewertet gehalten.
    «Hat sie mit Ihnen über den Mord an Elias Jones gesprochen?»
    «Mit keinem Sterbenswörtchen. Sie war sehr professionell, was ihre Arbeit betraf. Aber als es durch die Medien ging – die ganzen üblen Artikel über Sozialarbeiter in den Zeitungen –, war das natürlich schlimm für sie. Einmal habe ich sie gefragt, warum sie sich das antut. Ich meine, Lehrerin ist nicht unbedingt ein leichter Beruf, aber um Sozialarbeiterin zu werden, muss man doch verrückt sein, finden Sie nicht? Man wird immer für alles verantwortlich gemacht und bekommt nie eine Anerkennung.» Anne hielt inne und sah durch das große Glasfenster in Richtung des Dorfes. «Jenny hat bloß gesagt, dass sie den Beruf liebt. Das sei das Einzige, worin sie wirklich gut sei. Das hat natürlich nicht gestimmt, sie war in vielem wirklich gut. Sie war eine großartige Mutter.» Wieder schwieg sie. «Und eine wunderbare Freundin.»
    «Worüber haben Sie sich denn dann unterhalten?» Vera versuchte vergeblich, sich das vorzustellen. Diese beiden Mittelklassefrauen in den Vierzigern und all die Zeit, die sie miteinander verbracht hatten. Waren ihnen die Gesprächsthemen nicht irgendwann ausgegangen? Eine solche Freundschaft hatte sie noch nie gepflegt. Mit der Zeit hatte sie sich mit ihren abgedrehten Hippie-Nachbarn angefreundet, die den kleinen Hof neben ihrem Haus in den Bergen besaßen. An manchen Abenden betranken sie sich zusammen mit ihrem Whisky oder deren grauenvollem selbst gekeltertem Wein. Wenn die Schafe geschoren werden mussten oder die Hühner ausgebüxt waren, half sie ihnen. Aber Stunden miteinander zu verbringen und nur zu reden …
    «In der letzten Zeit, glaube ich, habe vor allem ich geredet, und sie hat zugehört.» Auf einmal gab sich Anne sehr bemüht, und Vera dachte jetzt, dass sie eigentlich schon die ganze Zeit über angespannt gewirkt hatte. Das lag nicht nur daran, dass ihre beste Freundin ermordet worden war. Sie war wohl einfach der Typ Frau – nervös, schreckhaft. Vielleicht hatte sie sich ja deshalb dafür entschieden, wohlerzogene Kinder in einer hübschen Schule auf dem Land zu unterrichten. Mit Stress, welcher Art auch immer, konnte sie sicher nicht umgehen.
    Anne holte tief Luft und fuhr fort. «Meine Ehe musste vor kurzem eine ziemliche Zerreißprobe bestehen. Eine Art Midlife-Crisis, nehme ich an. Ich habe mich von einem neuen Mitglied des Lehrerkollegiums angezogen gefühlt. Es ist nichts passiert, nichts Ernstes, aber es hat mich völlig aus der Bahn geworfen, mich wieder wie ein verliebter Teenager zu fühlen. Jenny hat mir die Augen dafür geöffnet, wie töricht ich mich benommen habe. Sie hat gesagt, John und ich hätten gerade erst dieses Haus gebaut und Jahre damit verbracht, damit es wirklich perfekt wird, und jetzt, wo es fertig sei, sei halt ein bisschen die Luft raus. Und ich sei nur auf der Suche nach etwas Aufregung. Ich bin mir sicher, dass sie recht hatte.»
    Du lieber Himmel, dachte Vera, was für ein zügelloses Geschwafel. Da gebe ich mich doch lieber mit einem handfesten Kriminellen ab als mit so einer Frau, die nur um sich selbst kreist.
    «Sie wollte diese Ostern mit uns nach Frankreich fahren, hat sich dann aber dagegen entschieden. Sie hat gesagt, John und ich bräuchten etwas Zeit nur für uns. Eine solche Freundin war sie.»
    «Was war eigentlich mit
ihr
?», fragte Vera schroff. «Hatte sie irgendwelche Liebhaber?»
    «Ich bin mir nicht sicher.»
    Die Vertraulichkeiten waren also offenbar nur in eine Richtung geströmt. Jenny hatte ihrer Freundin mit Vergnügen zugehört, wenn die von ihren pubertären Gefühlsverirrungen erzählte, im Gegenzug aber nichts von sich preisgegeben. Die Verschwiegenheit gehörte ganz offensichtlich ebenso zu ihrem Privatleben wie

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