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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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zu ihrem Beruf. Was für Geheimnisse hatte sie gehabt?
    «In letzter Zeit hatte ich den Eindruck, dass es da jemanden gibt», sagte Anne plötzlich. «Sie hat einen unserer Mittwochabende in letzter Minute abgesagt, ohne richtigen Grund. Und sie hat sehr glücklich gewirkt. Hat förmlich gestrahlt.»
    «Haben Sie sie denn nicht gefragt, was los ist?» Jetzt verlor Vera wirklich langsam die Geduld. Diese Frau klang ja wie eine Figur aus einem Herz-Schmerz-Roman in Heftchenform.
    «Sie hat gesagt, sie habe eine Beziehung, könne aber nicht darüber reden», sagte Anne.
    «Wo ist sie ihrem geheimnisvollen Liebhaber denn begegnet?» Vera konnte sich nicht zurückhalten. «Im Flamenco-Kurs?»
    «Nein!» Allein der Gedanke schien Anne zu schockieren. «Nein, im Ernst, das glaube ich nicht. Und wenn doch, wieso hätte sie es mir dann nicht erzählen sollen?»
    «Aber warum die ganze Geheimniskrämerei?»
    «Ich dachte, sie trifft sich vielleicht mit einem ihrer Kollegen.» Anne sah peinlich berührt drein. «Oder mit einem verheirateten Mann.»
    Also doch keine Heilige.
     
    Als Vera das schmale Sträßchen ins Dorf hinunterfuhr, fühlte sie sich bestens gelaunt. Es war, als hätte sie die Jenny Lister mit dem einladenden kleinen Haus und der bezaubernden Tochter ganz neu entdeckt. Vera war schon immer wohler gewesen, wenn sie es mit Sündern zu tun hatte.
    Plötzlich musste sie bremsen, um einen Traktor vorbeizulassen. Sie kam von der Straße ab, und da sah sie die Torpfosten mit den gemeißelten Kormoranköpfen, die ihr auf dem Aquarell in Veronicas Haus aufgefallen waren. Mittlerweile waren sie von Unkraut überwuchert, und von der Straße aus wären sie wohl nicht mehr zu erkennen gewesen. Aus einem Impuls heraus machte Vera den Motor aus und stieg aus dem Wagen. Sie ging auf dem grasüberwachsenen Pfad zwischen den Pfosten entlang, in ein Dickicht aus Erlen und Birken. Da wuchsen Anemonen und Veilchen, deren Farben in den Strahlen der durch die Bäume brechenden Sonne aufleuchteten. Dann hörte der Wald auf, und sie sah, wo einst das Haus gestanden haben musste.
    Man konnte noch die Überreste eines sorgfältig angelegten Gartens erkennen, breite Rasenterrassen, ein ummauertes Gemüsebeet und das Gerippe eines Gewächshauses, das sich gegen die Mauer lehnte, doch das Herrenhaus war bis auf die letzten Ziegel und Steine verschwunden. Solche alten, behauenen Steine waren hier im Tyne Valley bestimmt ein Vermögen wert. Doch warum war der Grund nie verkauft worden? Gehörte er Veronica oder einem anderen Zweig der Familie? Das hier wäre der Traum eines jeden Bauherrn. Vielleicht lag das Grundstück ja in einem Naturschutzgebiet, und es war verboten, hier neu zu bauen.
    In der Mitte der Rasenterrassen führten riesige Steinstufen hinab. Im Hinuntergehen fühlte sie sich, als würde sie über ein Filmset wandeln. Zu beiden Seiten der Stufen standen Statuen aufgereiht. Angeschlagen und mit Flechten überzogen, stellten die meisten von ihnen seltsame sagenumwobene Gestalten dar. Manche waren unter dem Efeu kaum erkennbar, und ein paar waren unter einem Gestrüpp aus Brombeersträuchern verschwunden. Auf einer der Terrassen stand die gewaltige leere Schale eines Brunnens.
    Als sie zum Fluss hinunterblickte, sah sie einen kleinen Teich. Vera versuchte, sich an den lang zurückliegenden Erdkundeunterricht zu erinnern, und dachte, dass sich der Verlauf des Flusses ja vielleicht mit der Zeit verändert hatte und dieser Tümpel übrig geblieben war. Daneben stand das Bootshaus, von dem Veronica gesprochen hatte, ziemlich gut in Schuss. Es war aus Holz, das erst kürzlich lackiert worden war; ins Wasser hatte man eine Veranda auf Pfählen gebaut. Jetzt lagen keine Boote mehr im Haus; das Fenster war verglast, und dahinter hingen rot-weiße Vorhänge. Neben dem Haus waren ein paar kleine Boote hochkant aufgestellt. Dies war der perfekte Ort für ein herrliches Picknick mit der Familie, und Vera stellte sich Veronica vor, die über den gefüllten Weidenkorb herrschte und partout den Glanz des Hauses ihres Großvaters wiederbeleben wollte.
    Als sie zu ihrem Wagen zurückging, tat ihr die Frau beinahe leid.

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    Kapitel Dreizehn
    Vor Connie Masters’ Cottage blieb Ashworth noch einen Moment stehen, um sich ihr Auto anzusehen; es war auf dem Seitenstreifen abgestellt und hatte den Bärenklau und das hohe Gras plattgedrückt. Ein alter silberner Micra mit einer unübersehbaren Beule im Kotflügel auf der

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