Seelentod
und sah zu, wie er Wasser in die Kaffeemaschine füllte, bevor sie weitersprach.
«Wenn man hier so sitzt», sagte sie und beobachtete, wie das Wasser aus dem Filter tröpfelte, «kann man kaum glauben, dass es draußen überhaupt noch anderes Leben gibt. Für Sie muss das ja noch viel schlimmer sein. Wohnen Sie hier im Hotel?»
«Nein. Ich habe eine Wohnung in der Stadt, zusammen mit meinem Lebensgefährten Paul. Es gibt aber ein Zimmer hier, das ich benutzen kann, wenn ich über Nacht bleiben muss.»
«Ist schon ein komischer Ort, so ein großes Hotel.» Sie spürte, dass er sich fragte, worauf sie mit dem Gedanken hinauswollte. Sie war sich selbst nicht ganz sicher. «Vor allem für die Angestellten, die hier wohnen. Alle hocken ständig aufeinander. Wie in einem Kloster. Führt das nicht zu Spannungen?»
«Das kommt schon vor. Und sehr klösterlich geht es dabei nicht zu.»
«Liebesgeschichten also. Affären …»
«So was gibt’s.»
«Michael Morgan und Freya Adams.» Sie nahm die Tasse, die er ihr entgegenhielt, und schnupperte dankbar daran. «Was ist da vor sich gegangen?»
Ryan zuckte die Achseln. «Die sind beide volljährig. Ich weiß aber, dass sich ein paar von den Angestellten Sorgen gemacht haben. Karen, die Empfangsdame vom Fitness-Club, hatte mal ein mütterliches Gespräch mit Freya. ‹Weißt du denn auch, worauf du dich da einlässt?› So was in der Art. Aber ich konnte ja schließlich nichts dagegen unternehmen.»
«Hat Morgan früher schon mal jungen Frauen nachgestellt?»
Ryan nahm sich Zeit, um darüber nachzudenken. «Mir ist nichts zu Ohren gekommen, aber ich werde mich mal umhören.»
«Tun Sie das. Und ich muss wissen, ob er am Mordtag morgens hier gewesen ist. Das war zwar nicht der Tag, an dem er für gewöhnlich praktiziert, aber soweit ich es verstanden habe, kommt er manchmal her, um in den Fitnessraum zu gehen. Auf der Liste, die wir von Ihren IT -Leuten bekommen haben, mit den Mitgliedern, die durchs Drehkreuz gegangen sind, steht er nicht, aber er würde schon einen Weg finden, das zu umgehen. Er ist nicht dumm.»
«Halten Sie ihn für einen Mörder?»
Vera merkte genau, dass er zuallererst ans Hotel dachte, an die Medien und was es wohl für Folgen hätte, wenn ein Mann, der fast zu den Angestellten gehörte, verhaftet würde. Ryan betrachtete Michael Morgan nicht als Freund. Um ihn persönlich machte er sich keine Gedanken. «Aber nein, nicht doch. Ich habe nur laut nachgedacht, mir eine Geschichte zusammengereimt. Darum geht es im Grunde in meinem Job. Das meiste sind am Ende nur Geschichten.»
«Letztes Jahr hätten wir ihn fast gebeten zu gehen, als es diesen ganzen Rummel um den kleinen Jungen gab.» Ryan starrte aus dem Fenster. «Aber am Ende hat er Louise noch mal umgestimmt.»
«Er kann gut mit Frauen, nicht wahr?» Vera lachte kurz auf, um zu zeigen, dass die Frage keine große Bedeutung besaß.
«Muss er wohl. Wenn’s ums Geschäft geht, ist Louise zäh wie Leder.»
«Ist er je mit Mattie Jones hier gewesen, der Mutter von dem kleinen Jungen?», fragte Vera.
Ryan schüttelte den Kopf. «Nicht dass ich wüsste. Und seitdem er und Freya zusammengezogen sind, ist auch Freya nicht mehr hier gewesen. Die Mädchen, mit denen sie gearbeitet hat, haben sie einmal zum Mittagessen hierher eingeladen, aber sie ist nicht gekommen.»
«Haben Sie einen Schlüssel von dem Zimmer, in dem er seine Sprechstunden abhält?»
«Natürlich. Aber von seinen Utensilien hat Michael da nichts stehen. Die bringt er immer mit.»
«Macht er seine Termine selbst, oder machen das die Mädchen an der Rezeption für ihn?»
«Er kümmert sich selbst um alles», sagte Ryan. «Wenn jemand ihn zu Rate ziehen will, geben wir seine Handynummer weiter.»
«Also kein Terminkalender.» Vera hätte wissen müssen, dass es so einfach nicht sein würde. «Keine Chance, an die Namen seiner Kunden zu kommen.»
«Tut mir leid.»
Sie deutete auf die geschlossene Tür, die Pforte von Ryans Privatreich zur Außenwelt des Hotels. «Wissen Sie was, Herzchen, wenn Sie da draußen sind und meine Arbeit für mich machen und Ihre Leute über Michael Morgan ausfragen, kriegen Sie doch raus, ob irgendwer ihn mal mit Jenny Lister zusammen gesehen hat.»
Ryan nickte. Noch ein junger Mann, der sie unbedingt bei Laune halten wollte.
«Und was mich angeht, ich laufe hier einfach mal ein bisschen rum und rede mit den Leuten. Ist das in Ordnung?»
«Sicher.» Aber Vera spürte genau, dass er heilfroh
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