Seelentraeume
Schließlich habe ich mich untersuchen lassen. Danach habe ich das Unvermeidliche noch anderthalb Jahre lang verdrängt. Ich ging zu den besten Heilerinnen, die ich kannte. Ich habe mich einer Behandlung nach der anderen unterzogen – daran zu denken, bereitet mir immer noch Albträume. Ich wollte einfach nicht aufgeben. Man hatte mich gelehrt, dass Wünsche wahr werden, wenn man sich nur genug bemüht. Ich hatte so viele romantische Bücher gelesen, in denen unfruchtbare Frauen vorkamen, doch kaum kommt der Richtige, löst die Macht der Liebe, seine magische Männlichkeit oder sonst irgendwas ihr Problem und sie bekommt zauberhafte Drillinge. Und meine Wunderheilung würde auch nicht lange auf sich warten lassen, da war ich mir ganz sicher.«
Sie wandte sich ihm zu. »Ich bin unfruchtbar, Richard. Nichts zu machen. Ich werde niemals Kinder haben, es wird keine Heilung geben.«
»Das tut mir leid«, sagte er.
Sie zögerte. »Macht es dir etwas aus? Dass ich dir keine Kinder schenken kann.«
Offenbar dachte sie daran, mit ihm zu leben.
Miss dem jetzt bloß nicht zu viel Bedeutung zu,
ermahnte Richard sich. Sie kamen aus vollkommen verschiedenen Welten. Sie war eine Blaublütige. Er war ein Blender. Ein Mann fast ohne Namen.
»In meiner Familie gibt es sechzehn Erwachsene, früher waren es mal über fünfzig, außerdem fast zwanzig Kinder, die meisten Halb- oder Vollwaisen«, teilte er ihr mit. »Es gibt also genug Kinder, um die ich mich kümmern muss. Mein Wohl hängt nicht davon ab, ein spezielles Kind mein Eigen zu nennen.«
Charlotte seufzte und streichelte seine Wange. Ihr Finger fuhr seine Lippen entlang. »Komisch, wenn du mich das gefragt hättest, bevor ich Elvei geheiratet habe, hätte ich dir dasselbe gesagt. Doch plötzlich war nichts mehr im Leben so wichtig wie mein Kinderwunsch. Ich fühlte mich unzulänglich. Fast so, als wäre ich keine richtige Frau, wenn ich kein Kind bekäme. Und irgendwann mittendrin wurde mir klar, dass Elvei nur ein Kind wollte, um das Familienerbe antreten zu können. Er konkurrierte mit seinem jüngeren Bruder und wollte unbedingt als Erster durchs Ziel gehen und einen strammen Jungen zeugen, um sein Land samt Haus zu beanspruchen und Familienoberhaupt zu werden.«
»Scheint ja ein schöner Idiot zu sein.«
Wer würde sich um Ländereien und Haus scheren, wenn er sie haben konnte
?
Verächtlich zog Charlotte eine Schulter hoch. »Ich war so naiv, und meine Scheuklappen saßen felsenfest. Elvei war stets zuvorkommend. Manchmal hat er mich zu meinen Behandlungen begleitet. Wir haben uns gemeinsam bemüht, ein Kind zu bekommen. Das war unser gemeinsamer Wunsch, wir dachten, es würde uns einander näherbringen. In Wahrheit lag der Fehler bei uns beiden. Er hätte mir einfach vor der Hochzeit sagen sollen, worum es ihm ging, und ich hätte seine Höflichkeit und Aufmerksamkeit nicht mit Liebe verwechseln dürfen. Vermutlich habe ich ihm auch so manches zugemutet. Er wurde immer besessener. Am Ende mussten wir in einer bestimmten Position Sex haben, weil ihm jemand gesagt hatte, dass man so am ehesten ein Kind zeugen könnte. Er half mir, meinen Eisprung auszurechnen, es war eine Krankheit, die uns beide befiel. Rückblickend wirkt das alles … irgendwie unheimlich.«
Richard sah sie sprachlos an. Ihr Mann war ein Arschloch. Am liebsten hätte er ihn gesucht und ihm bei lebendigem Leib die Haut abgezogen. Aber das laut auszusprechen war vermutlich eher kontraproduktiv.
»Als wir schließlich alles ausprobiert hatten, habe ich ihm gesagt, was los war. Ich hatte gedacht, er nimmt mich in den Arm und sagt mir, dass alles gut sei und dass er mich trotzdem liebe. Stattdessen wollte er die Ehe annullieren.« Charlotte lachte bitter. »Meine Welt brach zusammen, ich wollte ihm wehtun, und um ein Haar hätte ich das auch getan. Ich war so nah dran.« Sie hielt Daumen und Zeigefinger um Haaresbreite auseinander.
»Was hat dich davon abgehalten?«, fragte er.
»Dass es falsch war«, lautete ihre schlichte Antwort. »Ich war Heilerin, es war meine Aufgabe, Menschen gesund zu machen, nicht, sie zu verletzen, weil sie mir das Herz gebrochen hatten.«
Und aus diesem Grund würde sie immer der Lichtstrahl in seiner Finsternis sein. Er musste sie festhalten. Er konnte sie nicht gehen lassen. Mit ihr durfte er es keinesfalls vermasseln.
Charlotte schloss die Augen. »Nun, die Macht von uns Heilerinnen hat zwei Seiten, die eine verlängert, die andere verkürzt Leben. Wir sind darauf
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