Seelentraeume
Trotzdem unterschieden sie sich voneinander. Richards Züge verrieten Vornehmheit und Stolz, während Kaldar auf schurkische Weise attraktiv war, mit ungestüm glänzenden Augen und charmantem Grinsen. Ihr Gefühl verriet ihr, dass er häufig lächelte und rasch mit Lügen bei der Hand war, während Richards seltenes Lächeln jedes Mal ein Geschenk war.
Kaldar blinzelte. »Und wer sind Sie?«
»Charlotte«, erklärte sie.
»Sehr erfreut. Sagen Sie mal, Charlotte, haben Sie Richard gesehen? So einen grüblerischen Typ, ungefähr meine Größe, aber viel hässlicher und völlig humorlos.«
»Hässlicher?«
»Na ja, vielleicht nicht per se hässlicher, aber auf jeden Fall melancholischer. Sein Problem ist, dass er zu viel denkt. Dadurch kann er das Leben nicht genießen. Haben Sie ihn gesehen?«
»Er ist drinnen und kocht.«
»Kocht? Er hasst kochen.«
Damit trat Kaldar über die Schwelle und huschte nach links. Wo noch vor einem Augenblick sein Kopf gewesen war, steckte jetzt ein Messer im Türrahmen. Kaldar schnippte mit dem Finger gegen die Klinge. »Sehen Sie? Völlig humorlos.«
»Was soll das heißen?« Richard hob die Brauen. »Ich fand deinen Gesichtsausdruck gerade saukomisch.«
»Wer bist du, und was hast du mit meinem Bruder gemacht?«
Hinter Kaldar trat ein junger Mann ein. Eine tadellos geschnittene Jacke schmiegte sich eng an seine große, schlanke Gestalt, und er bewegte sich mit jener Nachlässigkeit, um die sich viele Blaublütige während langer Tanzstunden bemühten. Er ging mit geschmeidiger Eleganz, doch durchaus selbstsicher, nicht wie ein Tänzer, eher wie ein Schwertkämpfer. Das lange blonde Haar, das gewöhnlich auf einen Magier schließen ließ, betonte die klaren Gesichtskonturen, wirkte jedoch noch jungenhaft weich. Der Junge wandte sich ihr zu. Aus einem schon jetzt fesselnden Gesicht, das in wenigen Jahren umwerfend sein würde, blickten sie vertraute blaue Augen an.
»George?«, ächzte sie.
»Guten Morgen, Mylady.« Er nahm ihr den Besen ab. »Lassen Sie mich das machen.«
Sie versuchte, den schmutzigen Gassenjungen mit diesem makellosen Prinzen in Übereinstimmung zu bringen, und scheiterte. Die Teile passten einfach nicht zusammen.
»Schrecklich, nicht?« In spöttischer Resignation schüttelte Kaldar den Kopf. »Schauen Sie sich an, mit welchen Kalibern ich konkurrieren muss. Wissen Sie, Frauen unter fünfundzwanzig nehmen mich schon gar nicht mehr wahr, wenn ich ihn im Schlepptau habe.«
George verdrehte die Augen.
»Du bist verheiratet«, erinnerte Richard ihn.
»Das war ja auch nur eine hypothetische Klage.« Kaldar wandte sich Richard zu. »Was gibt’s denn Leckeres? Hast du auch genug für alle gekocht?«
»Du wirst schon nicht leer ausgehen, keine Sorge.« Mit einer abrupten Bewegung riss Richard die Pfanne vom Herd. Ein Pfannkuchen segelte durch die Luft und landete gewendet wieder in der Pfanne.
»Mich zu füttern ist ja wohl das Mindeste, was du tun kannst. Ich bringe Neuigkeiten.« Kaldar wedelte mit der Ledermappe. »Meine Frau hat das hier bei unserem illustren Geheimdienst mitgehen lassen, wir haben die ganze Nacht eine Abschrift davon gemacht und es anschließend wieder zum Spiegel zurückgebracht.«
»Er hat ein Aufnahmegerät«, sagte George. »Es hat weniger als eine halbe Stunde gedauert, bis alles kopiert war.«
»Verräterisches Kind.« Kaldar ließ die Mappe auf die Küchentheke fallen. »Ein Geschenk für dich, mein ach so ernsthafter älterer Bruder.« Mit der Hand beschrieb er einen Schnörkel, worauf aus dem Nichts ein Blatt Papier zwischen seinen Fingern erschien. Richard legte den Holzlöffel weg und faltete das Blatt auseinander. Er sah es lange an, dann gab er es Charlotte.
Es handelte sich um eine fotokopierte Aufnahme von Richards Gesicht, darüber das Wort JÄGER . Das Bild zeigte ihn während eines Kampfes. Er schwang sein Schwert, der Leichnam vor ihm hatte den Erdboden noch nicht berührt, seine Haut war blutbespritzt. Infolge seiner Drehbewegung standen ihm die Haare zu Berge. Seine Miene wirkte gelassen.
»Woher hast du das?«, fragte Richard.
»Während ich die Informationen für dich besorgt habe, bin ich zufällig in die Gegend von Rodera gekommen. Eine Höllenstadt, ich hab da einen Abstecher in ihre Gosse gemacht und ihr ein bisschen die Röcke gezaust. Die Sklavenhändler verteilen das da. Du bist aufgeflogen. Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst eine Maske aufsetzen? Warum hörst du nicht auf mich?«
Eine halbe
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