Seelentraeume
aber auf ihre Weise sehr begabt. Sie hat Sophie mehrfach untersucht. Körperlich fehlte ihr nichts. Aber Sophie stand ihrer Mutter stets sehr nahe, und solange die Verbindung zwischen ihr und ihrer Familie nicht ganz abriss, nahm ich an, dass es ihr mit der Zeit allmählich besser gehen würde. Doch dann kam die Hand.«
»Die Spione von Louisiana?« Charlotte machte große Augen.
»Ja, sie wollten etwas, das unsere Familie hatte. Erinnerst du dich an den Verbannten, von dem ich dir erzählt habe? Vernard?«
»Ja.«
»Mit Nachnamen hieß er Dubois. Sagt dir das irgendwas?«
Charlotte runzelte die Stirn. »Vernard Dubois war einige Jahrzehnte vor meiner Zeit ein gefeierter Mediziner des Herzogtums Louisiana. Ich habe ein paar seiner Arbeiten gelesen – sein Spezialgebiet war angewandte medizinische Botanik. Im Unterschied zu einem verbreiteten Irrglauben beschränkt sich die Ausbildung der College-Heilerin nämlich nicht auf den Einsatz von Magie. Wir studieren auch Pharmakologie, Pflanzenheilkunde und andere Fächer wie jeder andere Mediziner auch … aber ich schweife ab. War das der Mann?«
»Ja. Er war Sophies Großvater.«
Charlotte blinzelte.
»Louisiana hat ihn ins Moor verbannt, weil er die Grenze zu verbotenen magischen Modifikationen überschritten hatte.«
»Lachhaft«, schnaubte Charlotte. »Die verwandeln ihre Spione dort in magische Ungeheuer. Du würdest nicht glauben, was sie dem menschlichen Körper alles angetan haben.«
»Doch, würde ich«, teilte er ihr mit. »Ich habe viele von ihnen getötet.«
Sie beugte sich vor und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. »Und was hat Dubois mit alldem zu schaffen?«
»Er hat einen Apparat gebaut, mit dem er Menschen heilen wollte, stattdessen machte der Apparat unverwüstliche Monster aus ihnen. Die Hand war hinter dem Ding her. Also schickte Louisiana eine Einheit magisch modifizierter Spione unter der Führung eines Mannes ins Moor, der sich Spider nannte. Sie entführten Sophies Eltern. Wir verloren zwei Drittel unserer Familie, aber am Ende hatten wir sie ausgelöscht.«
»Sophies Eltern?«
»Spider verschmolz ihre Mutter.«
Der Schock traf Charlotte wie ein Schlag. Als Richard es damals erfuhr, hatte er genauso reagiert. Der Prozess der Verschmelzung verwandelte menschliches Gewebe in pflanzliches und schuf eine symbiotische Wesenheit, die noch sämtliche Erinnerungen des menschlichen Teils besaß, aber nicht mehr dessen Willen. Unwiderruflich und quälend hatte die Verschmelzung Cerise und Sophie ihrer Mutter beraubt.
»Gustave überlebte«, sagte er. »Sophie hat also noch einen Elternteil. Als der Spiegel unsere Familie nach Adrianglia umsiedelte, habe ich gehofft, sie würde Lark vergessen. Tatsächlich hat sie ihre Lumpen gegen Kleider getauscht und paukt inzwischen sogar Benimmregeln. Und die übrige Zeit trainiert sie.«
»Mit ihrem Schwert?«, vermutete Charlotte. Allmählich begann sie zu begreifen, wie diese Familie tickte.
Richard nickte. »Ich habe noch keinen Menschen gesehen, der so entschlossen war wie sie. Sie übt ständig. Vor drei Jahren hatte sie daran noch kein Interesse. Wenn du mich damals gefragt hättest, hätte ich dir wahrscheinlich gesagt, dass aus ihr bestenfalls eine mittelmäßige Kämpferin werden würde. Und heute weiß ich bald nicht mehr, was ich ihr noch beibringen soll. Inzwischen hat sie ihren Killerinstinkt gefunden. Sie hat keinerlei Skrupel, und ihre Hemmungslosigkeit ist mir auch nicht ganz geheuer. Irgendetwas treibt sie an.«
»Meinst du, sie will auch Sklavenhändler jagen?«
»Keine Ahnung. Ich habe dir doch von meinem Bruder erzählt. Ich habe, nein, hatte noch einen Bruder, einen Halbbruder, Erian. Er war noch ein Kind und stand neben meinem Vater, als der starb. Erian hat dieses Erlebnis jahrelang verdrängt, aber am Ende hat der Hass ihn aufgezehrt. Ich will nicht, dass es ihr genauso ergeht.«
»Und du glaubst, wenn du die Sklavenhändler tötest, kannst du ihr das ersparen?«
»Nein. Aber ich kann sie davor bewahren, sich selbst rächen zu müssen. Sie mag eine gute Kämpferin sein, aber sie ist auch noch ein Kind. Sie wird sterben, wenn sie die Sklavenhändler jagt. Und selbst wenn nicht, wird die Rachsucht alles noch schlimmer machen. Die Sklaverei ist eine Entartung, die in unserer Zeit nicht mehr existieren sollte, trotzdem gibt es sie. Aber ich habe beschlossen, das nicht länger hinzunehmen. Ich kann die Sklaverei nicht auf dem ganzen Kontinent verhindern, aber hier in
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