Seelentraeume
konditioniert, nur die eine einzusetzen. Das wird einem so oft vorgekaut, dass es einem ins Hirn gemeißelt ist, niemandem wehzutun, wenn man ins Teenageralter kommt. Heilen ist harte Arbeit. Man spürt, wie die Magie einen verlässt. Zu verletzen ist dagegen einfach. Man fühlt sich mächtig und stark – fast euphorisch – und bekommt gar nicht mit, wie viel Magie man verbraucht hat, bis sie weg ist. Dann bricht man dramatisch zusammen und macht sich komplett zum Narren.«
»Du kannst nach Belieben in Ohnmacht fallen. Ich werde dich immer auffangen.«
Sie lachte.
Er grinste.
Charlotte drehte sich auf die Seite und sah ihn an. »Wenn eine Heilerin aufhört, eine Heilerin zu sein, können zwei Dinge passieren. Sie kann ihre gesamte Magie vergeuden und daran sterben, oder …«
Sie zögerte.
»Oder?«
»Oder sie wird zu einer wandelnden Seuche. Dann vergeudet sie ihre Magie, erkennt, dass sie mehr benötigt. Sie fängt an, von den Menschen in ihrer Umgebung zu zehren, und verwandelt das Leben anderer in Treibstoff für weitere Morde. Dann hört sie auf, menschlich zu sein. Als ich zum ersten Mal getötet habe, als ich Voshak und seine Sklavenhändler infizierte, war ich mir nicht sicher, ob meine Macht ausreichen würde, um sie alle zu töten. Also habe ich von ihnen gezehrt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie wunderbar das war.«
Ihre Stimme bebte.
»Und das erschreckt dich«, erriet er. In seinem Hinterkopf klingelten Alarmglocken. Er war sich sicher, vor einigen Jahren einen Artikel gelesen zu haben, der etwas ganz Ähnliches schilderte. Dort hatte gestanden, dass Magienutzerinnen, die das taten, dem Tode geweiht waren.
»Ja, seitdem habe ich es nicht mehr getan. Wenn man einmal damit angefangen hat, ist die Versuchung viel zu groß, einfach fortzufahren. Als ich im Haus der Buchhalterin an meine Grenze ging, habe ich dich gespürt. Ich konnte deine Lebenskraft spüren. Und das hat meinen Appetit angeregt.« Sie berührte sein Gesicht. »Macht dir das Angst?«
»Nein.« Er hatte keine Angst
vor
ihr, sondern
um
sie.
Sie räusperte sich und sagte mit leiser Stimme: »Manche Menschen glauben, sie könnten das, was sie tun, besser als andere. Ich glaube das nicht, ich weiß es sicher. Ich bin die mächtigste Heilerin meiner Generation. Ich würde nicht nur zur Seuchenbringerin werden, ich würde eine Pandemie entfesseln. Ich wäre der leibhaftige Tod. Aber ich würde eher meine gesamte Magie vergeuden und sterben, als Tausende von Menschen zu töten.«
Sie schloss die Augen. »Ich hätte das niemals tun dürfen. Du musst verstehen, ich habe dich auf dieser Lichtung in dem Käfig gesehen. Verdroschen und mit blauen Flecken. Und diese Typen hingen da herum wie auf einem Picknick. Ich war so wütend. Von ihnen zu zehren schien der einzige Ausweg, und den habe ich eingeschlagen. Ich kannte die Risiken, ich wusste nur nicht, wie stark der magische Sog war.«
»Du standest unter Schock«, erklärte er. »Vertrau mir, ich war dabei. Ich habe dein Gesicht gesehen.«
»Das ist keine Entschuldigung. Viele Heilerinnen verschwinden nach ein paar Jahren. Ich dachte immer, sie brennen aus, aber vielleicht ist es gar nicht so. Vielleicht unterliegen sie der Versuchung und müssen aus dem Verkehr gezogen werden wie tollwütige Hunde.«
»Stopp«, sagte er. »Tu dir das nicht an. Du wirst nicht aus dem Verkehr gezogen werden. Ich werde nicht zulassen, dass dich jemand anfasst.«
»Richard, wenn ich irgendwann die Kontrolle verliere, musst du mich aufhalten.« Ihre Lippen berührten seine. Warm, nachgiebig. Er genoss ihren Geschmack. »Ich weiß, das ist viel verlangt, versprich es mir trotzdem.«
Bei dem Gedanken daran starb etwas in ihm. »Ich passe schon auf dich auf.«
Er würde es tun, weil sie ihn darum gebeten hatte. Zumindest würde er es versuchen. Jetzt schlang er die Arme um sie, zog sie an sich und wünschte, sie vor allem Bösen beschützen und sie in Sicherheit wiegen zu können. Er würde sich Menschen, Geschöpfen und wilden Tieren in den Weg stellen. Aber wie sollte er gegen Zauberkräfte kämpfen? Die er weder stoppen noch töten konnte, und gegen die er nicht das Geringste unternehmen konnte, wenn sie ihm Charlotte nahmen.
Sie umarmte ihn und glitt neben ihn. »Eine ziemlich verrückte Liebesgeschichte, die wir da haben, was?«
Er rang sich ein Lächeln ab. »Weiß nicht, könnte schlimmer sein.«
»Ja?«
»Wir führen noch immer unseren Krieg. Wir könnten auch einfach aufgeben.«
»Wir
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