Seelenzorn
dass Sie diese Mädchen nicht getötet haben?« Sie griff nach der Handtasche und holte die Kamera hervor. Er wollte also Fotoquartett spielen, seine Beweisfotos gegen ihre? Schön, mit diesem Spiel kannte sie sich auch ganz gut aus.
»Ich habe niemanden getötet. Ganz im Ernst, ich glaube, wir sollten diese ganze Sache noch mal überdenken. Sie sind ganz offensichtlich sehr viel verwirrter, als ich geglaubt habe.«
»Ich bin klar genug im Kopf, um Ihnen den Arsch aufzureißen«, fauchte sie und zeigte ihm das Kamera-Display.
Die Aufnahme war aus mittlerer Entfernung gemacht worden, sodass man Daisys starres Gesicht mit den leeren Augenhöhlen und das eingebrannte Symbol gut erkennen konnte, dessen Linienverlauf ausreichend scharf war.
In der Tat ein grauenhaftes Bild. Chess war sich ziemlich sicher, dass es sie bis in ihre Träume verfolgt hatte, zusammen mit anderen lieb gewonnenen Favoriten: Randy Duncan, ermordet vom Traumdieb; Brain, der ihr vertraut und dafür mit dem Leben bezahlt hatte; und als Neueinsteiger Terribles ungläubige Miene, als ihm auf dem Friedhof klar geworden war, dass sie ihn monatelang betrogen hatte.
Aber das Entsetzen auf Oliver Fletchers Gesicht jagte ihr einen Schauder über den Rücken. Er sah aus, als hätte er das Mädchen noch nie zuvor gesehen. Und was noch schlimmer war, er sah aus, als betrachte er etwas, das er niemals hatte sehen wollen, als sei er Zeuge, wie man seine gesamte Familie abschlachtete.
»Du lieber Gott«, sagte er, und die Worte klangen so dumpf, dass Chess die Blasphemie kaum registrierte. Fletcher entschuldigte sich auch nicht. Menschen, die in der Zeit vor der Wahrheit aufgewachsen waren, unterlief öfter mal das Versehen, dass sie einen solchen altmodischen Ausdruck benutzten; es stand lediglich ein kleines Bußgeld darauf. »Wann ... was ist das?«
»Das ist eine tote Nutte. Eine ermordete Nutte.« Sie wusste nicht recht, was sie sagen sollte. So gut konnte niemand schauspielern. Sein maßloses Entsetzen und die vollkommene Verstörtheit füllten den Raum, erwärmten ihre Tattoos und sorgten dafür, dass sich ihre Nackenhaare sträubten. »Das ist doch Ihr Symbol, oder? Haben Sie das nicht entworfen? Und es dann bei Ihrem Freund Kemp benutzt?«
Er nickte. Sein Blick klebte an der Kamera. »Horatio ... ach, mein armer Horatio.«
Unwillkürlich verspürte sie Mitleid. Entschlossen schob sie das Gefühl beiseite. Immerhin hatte er vor ein paar Tagen mit ihr auch kein Mitleid gehabt, als er sie - bildlich gesprochen - gezwungen hatte, ihm den Schwanz zu lutschen, damit sie ihren Job behielt. »Wenn er arm dran ist, dann nur wegen dem, was Sie ihm angetan haben. Er sitzt in einer Anstalt, oder?«
Jetzt sah er auf. Seine Pupillen waren derartig geweitet, dass das Schiefergrau der Iris kaum noch zu sehen war. »Nein. Er sitzt nicht mehr in der Anstalt. Nach dem hier zu urteilen ... also, nach diesen Fotos zu urteilen, Miss Putnam, würde ich sagen, dass er sich in Triumph City herumtreibt und Frauen ermordet.«
26
Junge Mädchen haben es heutzutage nicht leicht. Alles ist so
anders als zu unserer Zeit! Aber wenn Sie gesprächsbereit
bleiben, werden Sie erstaunt sein, wie bereitwillig sich ihr
Kind öffnet. Und eine gelegentliche Erinnerung, dass die
Kirche Gehorsam verlangt, kann auch nicht schaden ... Mädchenerziehung im Geiste der Wahrheit
von Lana Hunnicut
»Wie ist das möglich?«
Er zuckte die Achseln. Langsam nahm sein Gesicht wieder Farbe an; er sah beinahe wieder normal aus. Sie hingegen fühlte sich, als hätte sie jemand in Wachs getaucht und ließe sie jetzt langsam abkühlen.
»Horatio ... ich nehme an, Thad hat Ihnen erzählt, was damals passiert ist? Das Symbol, der Turm?«
Sie nickte.
»Er ... er hat eine Obsession für Geister entwickelt. Für eine Menge Sachen eigentlich. Spielt jetzt keine Rolle mehr. Aber nach und nach haben wir entdeckt ... dass er Leute umbrachte. Frauen. Er hat... Dinge mit den Leichen angestellt. Kannibalismus. Nekrophi... muss ich noch deutlicher werden?«
»Bitte nicht.«
»Es lag nicht an ihm, Miss Putnam. Das müssen Sie verstehen. Es war nicht mein Freund Horatio, der das tat. Diese Taten wurden von den Wesen begangen, die ihn in dem Moment in ihrer Gewalt hatten. Mit seiner Macht und diesem verdammten Symbol zog er sie an wie ein Magnet ... ich wusste nicht, dass das passieren würde. Vielleicht hätte ich es wissen müssen. In meinen dunkelsten Stunden sage ich mir, dass ich es hätte vorhersehen
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