Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
lange, wie ich schlafe. Sobald ich dann wieder wach werde, spüre ich nur diese wahnsinnige Sehnsucht. Manchmal denke ich, ich drehe noch durch.
Ich liebe dich so sehr. Für einen Kuss von dir würde ich sogar von hier bis nach Hamburg schwimmen. Das Problem ist nur, dass ich dafür wahrscheinlich länger brauchen würde als drei Monate. Darum nehme ich jetzt lieber das Schiff, da weiß ich wenigstens, dass ich ankomme.
Ich liebe dich, Nancy!
Dein Heribert
»Wo ist Ihr Seemann denn gerade?«, fragt mein Gynäkologe, während ich versuche, elegant von seinem Behandlungsstuhl zu klettern. Die Untersuchung ist beendet, eigentlich könnte ich gleich gehen, aber mein Arzt ist wieder einmal in Plauderlaune. Er ist ein mittelgroßer älterer Herr mit weißem Haar und einer randlosen Brille. Irgendwie sieht er aus wie ein zerstreuter Professor. Einer, der seine Brille sucht, obwohl er sie auf der Nase trägt. Ich habe schon erlebt, wie er seinen kompletten Papierkorb vor meinen Augen entleerte, weil er einen bestimmten Ausdruck darin vermutete. Er kniete auf dem Boden und durchwühlte den Inhalt des Papiermülls. Natürlich fand er den gesuchten Zettel nicht und schob dessen Verschwinden dann kopfschüttelnd auf seine Sprechstundenhilfen.
Seit ein paar Jahren schon fragt mein Gynäkologe mich regelmäßig, wie es bei mir um das Thema Kinder bestellt sei. Irgendwann kam ich in Erklärungsnot. Also habe ich ihm erzählt, dass mein Freund Seemann sei und wir uns deshalb mit der Familiengründung noch Zeit lassen wollten. Vielleicht war meine ehrliche Antwort ein Fehler. Mein Arzt redet seitdem nur noch von Seemannsknoten, hohen Wellen und seinem letzten Segeltörn. Wahrscheinlich hat er einen Seefahrer-Vermerk in meine Patientenakte gemacht.
»Er ist gerade auf dem Weg von Südamerika nach Florida«, gebe ich wahrheitsgemäß Auskunft und schlüpfe hinter der Trennwand in meine Jeans.
»Ach, das ist doch eine tolle Route. Meine Frau und ich sind mal von der Karibik nach Florida gesegelt. Das ist nun aber auch schon wieder mehr als zehn Jahre her. Wann wollte Ihr Freund noch mal mit der Seefahrt aufhören?«, fragt er, als ich hinter der Trennwand hervorkomme. Ich überlege, was ich antworten könnte, doch in dem Moment klingelt sein Telefon. Er hebt ab und fängt schon wieder an, auf seinem Schreibtisch nach etwas zu suchen. Ein paar Sekunden warte ich noch ab, dann winke ich ihm freundlich zu und schleiche mich aus dem Behandlungszimmer. Glück gehabt, denke ich erleichtert.
Normalerweise werde ich eher von Frauen bedauert und mitfühlend gefragt, wie ich das alles nur aushalte und wann Heribert endlich mit der Seefahrt aufhört. Männer beneiden uns häufiger um unsere Beziehung, zumindest behaupten sie das. Die Vorstellung von Freiheit und Abenteuer reizt sie. Viele Männer sind auch fest davon überzeugt, dass ich meinen Freund betrüge. Schließlich würde er es doch nicht erfahren. Ein Kapitän erzählte mir einmal, dass es nicht die Seemänner seien, die Affären hätten, sondern die Frauen daheim, die die Einsamkeit nicht ertragen könnten. Sie sind es in der Regel auch, die die Beziehung beenden. Ich aber bin meinem Seemann treu. Was für mich selbstverständlich ist, ist für andere ein kleines Wunder. »Du bist wirklich noch nie fremdgegangen?«, fragt mich auch mein Kollege Marcus von Zeit zu Zeit ungläubig. Nein, und das war auch gar nicht schwer. Wenn Heribert weg ist, hebe ich ihn gedanklich auf eine Art Podest. Er ist mein Held, und kein Mann auf der Welt könnte auch nur im Entferntesten an ihn heranreichen. Ich bin wahnsinnig stolz auf ihn. Das heißt allerdings nicht, dass ich nicht flirte. Ich gehe auch oft mit anderen Männern aus. Und nicht alle von ihnen sind schwul.
Heribert ist zum Glück überhaupt nicht eifersüchtig. Oder vielleicht ist er es ja, aber er zeigt es nie. Oft bin ich gerade dann mit anderen Männern unterwegs, wenn er mich von irgendwo auf dieser Welt anruft. Manche der Männer kennt er nur vom Namen. Ich erzähle ihm aber immer direkt, wo ich bin und mit wem. Und egal, wer es ist, Heribert lässt mich immer Grüße ausrichten. Ich bewundere ihn für seine Gelassenheit, denn ich bin ganz anders. Natürlich vertraue ich ihm, aber eifersüchtig bin ich trotzdem. Als Gefahr sehe ich nicht die Frauen in den Häfen, sondern die Frauen an Bord. Nicht selten kommt es vor, dass auch Frauen zur Besatzung gehören. Praktikantinnen, Auszubildende, Köchinnen, weibliche Offiziere, sogar
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