Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
paar Wochen da. Heribert selbst hatte noch versucht, mich zum Sport zu überreden. Ohne Erfolg.
Jetzt stehe ich in der Yogafigur des Zweiten Kriegers und leide. Barfuß mache ich eine weite Grätsche auf meiner Yogamatte, den Oberkörper habe ich um 90 Grad zur Tür gedreht. Auch mein rechter Fuß zeigt zur Tür. Mein Knie ist im rechten Winkel gebeugt, zumindest sollte es so sein. Das hintere Bein habe ich durchgedrückt. Meinen rechten Arm strecke ich in Schulterhöhe nach vorn, meinen linken nach hinten. Meine Arme sind schwer wie Blei. Mein gebeugtes Knie zittert vor Schwäche.
»Noch ein Stück tiefer! Tiefer!«, ruft Rüdiger, mein Yogalehrer.
Er hat gut reden, denke ich. Er hat sich lässig an die Wand gelehnt. Ganz entspannt steht er da in seiner kurzen blauen Turnhose, seinem hautengen weißen T-Shirt und gibt Anweisungen. »Halten! … Halten! … Halten!«, ruft er und sieht uns dabei streng an. Ich kann ihn zwar nicht sehen, aber ich spüre seinen Blick. Ich weiß genau, dass er mich beobachtet. Jetzt bloß keine Schwäche zeigen. Ich wackle, gleich falle ich um, denke ich. Oder ich werde ohnmächtig.
»Mit der nächsten Atmung kommt ihr wieder hoch zum Stehen, dann ruht ihr euch kurz in der Kinderhaltung aus.« Noch bevor er diesen Satz ganz ausgesprochen hat, sitze ich bereits auf den Fersen, und mein Oberkörper ruht zwischen meinen Oberschenkeln. Meine Stirn berührt die Yogamatte, meine Arme habe ich nach vorne ausgestreckt. Ich liebe die Kinderhaltung. Sie ist fast so gut wie die Schlussentspannung. Am Ende einer jeden Yogastunde legen wir uns in Shavasana, die Totenstellung. Mit geschlossenen Augen liegen alle 15 Yogaschüler auf dem Rücken, Arme und Beine von sich gestreckt. Die Handflächen zeigen nach oben. Das Licht ist gedimmt. Es ist ganz still. »Ihr müsst alles loslassen«, sagt Rüdiger dann mit einer ganz ruhigen, fast esoterischen Stimme. Kaum hat er es ausgesprochen, hört man die ersten Schüler schnarchen. Es sind immer die Männer, die sofort einschlafen. Vielleicht schlafen auch manche der Frauen, aber die hört man nicht.
Ich schlafe nie ein, stattdessen fangen meine Gedanken an zu kreisen. Eigentlich dürfen wir in der Totenstellung weder schlafen noch denken, aber ich kann einfach nicht an nichts denken, und außerdem merkt es auch niemand. Ich denke darüber nach, wen von meinen Freunden ich mal wieder anrufen müsste. Ich überlege, was ich meinem Vater zum Geburtstag schenken soll, und ich frage mich, ob Heribert wohl gerade versucht, mich anzurufen. Das Schlimmste am Yogakurs – mal ganz abgesehen von der Quälerei – ist die Tatsache, dass ich mein Handy eineinhalb Stunden ausschalten muss. Wobei ich es nie richtig ausschalte, sondern nur den Klingelton und den Vibrationsalarm deaktiviere. Eigentlich weiß Heribert, dass ich dienstags zwischen 19 Uhr und 20.30 Uhr beim Yoga bin. Aber andererseits ist er so viel unterwegs und fährt ständig durch verschiedene Zeitzonen. Es ist also kein Wunder, dass er da hin und wieder etwas durcheinanderkommt. Im Moment müsste Heribert gerade durch das Karibische Meer fahren, bei ihm ist jetzt Nachmittag.
»Stellt euch langsam darauf ein, eure Aufmerksamkeit wieder nach außen zu lenken«, sagt Rüdiger, der im Schneidersitz auf einem Berg von Decken thront und uns beobachtet. Nachdem auch der letzte Schüler aufgewacht ist, sitzen wir alle im Schneidersitz, die Hände berühren sich vor der Brust, und wir verbeugen uns. »Namasté«, sagen alle im Chor, dann ist die Stunde vorbei. Mein erster Blick gilt dem Handy. Heribert hat nicht angerufen. Ich bin erleichtert.
Nach dem Unterricht gehe ich mit meinen Yogafreundinnen Nicole und Simone noch einen Wein trinken. Das ist mittlerweile zum festen Ritual geworden. Nicole kenne ich seit der Schulzeit, wir sind in eine Klasse gegangen. Wir sind schon seit vielen Jahren befreundet. Simone kenne ich erst seit zwei Jahren. Durch sie bin ich zum Yoga gekommen. Nicole und Simone sind beide unglaublich hübsch. Sie haben beide langes blondes, wildgelocktes Haar. Sie könnten Schwestern sein. Wenn wir drei gemeinsam unterwegs sind, drehen sich alle Männer nach uns um. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie das nicht meinetwegen tun, aber ich finde es trotzdem schmeichelhaft.
Es ist sehr motivierend, sich zum Sport zu verabreden. Doch noch motivierender ist es, zu wissen, dass man anschließend gemütlich zusammensitzen wird. Wir gehen immer in ein kleines, französisches Café, nur
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