Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
einige Grad nach backbord. Wir passierten das Fischerboot, als solches hatten wir es mittlerweile identifiziert, in einem Abstand von ca. 300 Metern. Vielleicht sollte ich dir jetzt erklären, warum der Kapitän dann immer nervöser wurde. Bei den meisten Überfällen, die in den letzten Jahren passiert sind, tarnten Piraten ihre Boote als Fischerboote und ließen sich treiben, bis ein Schiff auftauchte. Kaum war es an ihnen vorbei, erhöhten sie ihre Geschwindigkeit und enterten das Schiff von achtern.
Sobald wir das Boot passiert hatten, vollführte es einige komische Manöver in alle möglichen Richtungen, um dann letztlich mit etwa 12 Knoten unter einer Regenwolke zu verschwinden. Wir schauten auf den Radarbildschirm, hatten aber keinen Sichtkontakt mehr. Der Kapitän befahl mir, ans Ruder zu gehen und die Automatik auszuschalten. Er war ziemlich laut, als er mir die Order gab. Während ich das Schiff auf Kurs hielt, bei einer Geschwindigkeit von etwa 19 Knoten, beobachtete der Kapitän weiterhin das Radargerät. Das Boot hatte nun wieder den Kurs geändert und schien von achtern direkt auf uns zuzulaufen. Dabei erhöhte es langsam die Fahrt von 12 Knoten auf 15, dann auf 20. Normalerweise laufen diese Art Fischerboote maximal 13 Knoten. Das und die Tatsache, dass es langsam, aber sicher näher kam, verstärkten unsere Nervosität immer mehr. Gerade als der Kapitän Alarm auslösen wollte, meldete das Radar, dass es sein Ziel (also das Boot) verloren hatte. Auf Befehl des Kapitäns änderte ich den Kurs erneut. Dann war erst einmal Stille. Auf dem Radarbild war nichts zu sehen, außer ein paar tiefhängenden Wolken. Ich glaube, das war wohl eine der Situationen, in denen die Zeit stillzustehen schien. In Gedanken war ich schon bei den ganzen Horrorberichten darüber, was Piraten alles mit Seemännern anstellten. Der Kapitän riss mich aus meinen Gedanken, als er mir zurief, dass das Boot nun mit 30 Knoten auf uns zuraste. Als die Geschwindigkeit dann auf 45 Knoten anstieg, wussten wir, was los war. Das Radargerät hatte eine Regenwolke mit dem Boot als Ziel verwechselt. Es war also eine Wolke, die auf uns zuflog und immer schneller wurde. Meine Güte, war ich erleichtert, als der Kapitän dann endlich ein Fischerboot mit einem Abstand von drei Seemeilen und entgegengesetztem Kurs ausmachte. Ich glaube, in der kurzen Zeit der Anspannung bin ich um zehn Jahre gealtert. Und der Kapitän auch.
So, meine liebe Nancy, jetzt muss ich mir mal schnell eine Cola holen, denn es ist einfach viel zu heiß in meiner Kammer. Die Klimaanlage ist ausgefallen, hier drin sind es gefühlte 45 Grad.
Ich liebe dich! Und ich vermisse dich! Und ich kann es kaum erwarten, dich endlich wiederzusehen!
Pass auf dich auf! Ich melde mich wieder!
In Liebe, dein Heribert
Wenn es um Piraten geht, höre ich weg. Ich tue so, als interessierte mich das Thema nicht. Piraten? Keine Ahnung. In der Zeitung blättere ich weiter. Im Fernsehen schalte ich um. Das Ausblenden gelingt mir gut. In letzter Zeit wird es aber immer schwieriger. Das Thema ist zu präsent. »Hast du denn gar keine Angst?«, fragen mich Freunde und Kollegen. Natürlich habe ich Angst. Große Angst sogar.
Heriberts aktuelle Route führt ihn zum Glück nicht ins Piratengebiet. Er fährt von Venezuela durch den Atlantischen Ozean in Richtung Florida, dann über die karibischen Inseln Aruba und Curaçao wieder zurück nach Venezuela. Immer in dieser Reihenfolge. Das war aber nicht immer so. Und von einer Entwarnung kann keine Rede sein. Nach jedem Urlaub kommt er auf ein anderes Schiff mit einer anderen Route.
Ich habe noch immer eine Karte, in der ich die Position seines Schiffes eintrage. Mittlerweile ist es eine Weltkarte mit Korkuntergrund, die in unserem Flur hängt und in die ich kleine Fähnchen stecke. Für die Route nehme ich auch immer noch rote Wollfäden. Heute müsste Heribert wieder einmal in den USA ankommen. Die erste Stadt, die sie in Florida anlaufen, heißt Jacksonville. Jacksonville ist auf meiner Karte sogar eingezeichnet. Ich habe ein kleines Fähnchen genau in den Kreis gesteckt, der die Hafenstadt darstellen soll. Ich musste aufpassen, dass ich das Einstichloch nicht zu groß machte. Knapp unterhalb von Jacksonville, gleich neben Miami, steckte schon ein anderes, ein älteres Fähnchen.
Heribert ist nun schon seit vier Wochen an Bord, aber der Kapitän hat ihm noch immer keine eigene E-Mail-Adresse eingerichtet. Ich rege mich wahnsinnig darüber
Weitere Kostenlose Bücher