Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
mit einem Lächeln und reichte mir die Hand. »Ich bin Heribert.« Ich dachte, er wolle mich auf den Arm nehmen. Heribert – so heißt man doch nicht mit Anfang zwanzig. So heißt man auch nicht mit einer brasilianischen Mutter. Sein Vater, erklärte er daraufhin, komme aus Bayern und heiße ebenfalls Heribert, Heribert Riesenhuber. Ich wollte seinen Personalausweis sehen.
Dem gutaussehenden Kellner schien es nicht neu zu sein, solche Verwirrung auszulösen. Nach nur wenigen Sekunden hielt ich seinen Ausweis in der Hand. Ich musste zweimal hinsehen. Tatsächlich. Er hieß Heribert. Heribert Riesenhuber. Ich lachte, entschuldigte mich und bestellte zwei Bier. Hinter mir hatte sich bereits eine Schlange gebildet. Heribert erwähnte, dass er gleich Feierabend mache und wir uns danach vielleicht noch weiter unterhalten könnten. Ich nickte ihm zu und spürte, wie ich wieder leicht errötete.
Eine halbe Stunde später stand er tatsächlich neben mir. Es war nicht mehr viel los im Café, sein Kollege hatte die Bar allein übernommen. Wir unterhielten uns und stellten fest, dass wir auf demselben Flur wohnten. Wir waren Nachbarn, nur zwei Zimmer lagen zwischen uns. Ich wunderte mich, dass wir uns bisher noch nicht über den Weg gelaufen waren, aber Heribert, den alle Bertl nannten, wohnte erst seit kurzem in Bremen. Sein erstes Semester hatte er auf einem Kühlschiff verbracht. Es transportierte Bananen von Ecuador nach Syrien, Fleisch von Brasilien nach Saudi-Arabien und Thunfisch von den Seychellen nach Spanien.
Er erklärte mir, dass Nautiker ihr Studium in der Regel mit einem langen Praktikum beginnen. Es sei eine Art Test. Die Einsamkeit an Bord, die Hierarchien innerhalb der Besatzung, die permanente Enge. Die Schifffahrt habe nicht mehr viel mit Seefahrerromantik zu tun. Die Liegezeiten in den Häfen seien kurz, das Leben an Bord hart. Seemänner arbeiteten sieben Tage die Woche. Über Monate hinweg. Praktikanten müssten das Deck schrubben und im Kühlraum die Inventurliste der Essensvorräte durchgehen. Viele Erstsemester stellten während des Praktikums fest, dass die Seefahrt doch nicht das Richtige für sie sei. Früh genug, um sich die Sache noch einmal anders zu überlegen.
Heribert jedoch gefiel seine Seefahrtzeit ausgesprochen gut. An unserem ersten Abend schwärmte er von fremden Ländern, der internationalen Crew, Delphinen, die neben dem Schiff in den Sonnenuntergang springen, und dem Gefühl der Unendlichkeit des Meeres. Ich hörte ihm gerne zu.
Gegen 5 Uhr morgens, Meike und Laurent waren längst gegangen, wollte auch ich nach Hause.
»Ich komme mit. Wir haben doch denselben Weg«, sagte Heribert und lächelte mich an.
Gemeinsam stiegen wir die Treppe hinauf. Ich lief ganz langsam, ich fragte mich, was wohl gleich passieren würde. Wir liefen vorbei an seinem Zimmer und blieben vor meinem Zimmer stehen. Ich schloss die Tür auf, drehte mich zu ihm um, dann küssten wir uns. Ich weiß nicht mehr, wer wen geküsst hat, er mich oder ich ihn. Aber eines weiß ich genau: Es war der unglaublichste Kuss, den ich je bekommen habe. Irgendwann hörte Heribert dann auf, mich zu küssen. Er lächelte mich an und verabschiedete sich mit einem »Gute Nacht, Frau Nachbarin«, drehte sich um und ging. Ich blieb stehen und sah ihm nach.
Von diesem Abend an begegneten wir uns immer wieder. In der Mensa, im Supermarkt, an der Straßenbahnhaltestelle. Meistens war er nicht allein unterwegs, und wenn doch, dann war ich nicht allein. Wir lächelten uns an. Mehr nicht. Zweimal pro Woche jobbte er hinter der Theke im Wohnheimcafé. Ich ging nun häufiger dorthin, das Bier gab er mir aus. Ab und zu klopfte er bei mir, weil er Milch, Salz oder einen Dosenöffner brauchte. Und ich klopfte bei ihm, um zu fragen, wann seine nächste Schicht im Café war. Langsam lernten wir uns immer besser kennen. Nach einem Monat waren wir ein Paar.
Den eigenen Nachbarn als Freund zu haben, empfand ich als überaus praktisch. Wir konnten uns spontan sehen, mussten uns nicht lange im Voraus verabreden. Meistens übernachteten wir beieinander. Mal schliefen wir bei ihm, überwiegend jedoch bei mir. Was aber lediglich am Angebot meines Kühlschranks lag. Heriberts Zimmer war fast identisch zu meinem Zimmer, nur seitenverkehrt. 15,26 Quadratmeter hatte jeder von uns, inklusive Küche und Bad. Alles war beengt, im Bad konnte man sich kaum drehen, und die zwei Herdplatten befanden sich direkt über dem Kühlschrank. Auch das Bett war
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