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Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)

Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)

Titel: Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Krahlisch
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würde ich jetzt sofort anrufen, aber dafür ist es noch zu früh. Womöglich schlafen meine Eltern noch. Wenn das Telefon zu so früher Stunde klingelt, erschrecken sie nur, weil sie denken, dass etwas Schlimmes passiert ist. Also sehe ich weiter aus dem Fenster. Ich könnte ein paar SMS schreiben, jetzt hätte ich Zeit, denke ich. Aber ich denke es nur und bewege mich keinen Millimeter.
    Ich fahre mit dem Bus bis zum Alexanderplatz, von dort nehme ich die U-Bahn. Unsere Wohnung liegt gegenüber einer Kirche. Hier ist es herrlich grün, und das mitten in der Stadt. Die Glocken läuten, als ich das Haus betrete. Kaum bin ich in der Wohnung, werfe ich meine Turnschuhe und die Tasche mit den ungelesenen Zeitungen in eine Ecke. Ich gehe ins Schlafzimmer, das Bett ist noch verwühlt, das Rollo noch unten. Ich ziehe mich aus und krieche schnell unter die Decke. Das Kopfkissen riecht nach Heribert, ich lege mich auf seine Seite des Bettes, presse sein Kissen an mich und schlafe sofort ein.
    Als ich zwei Stunden später wach werde, muss ich mich erst einmal besinnen. Wo bin ich? Was ist passiert? Ach ja, er ist wieder weg. Vor ein paar Stunden habe ich ihn zum Flughafen gebracht. Jetzt fällt mir alles wieder ein. Ich habe mir heute extra freigenommen, ich wollte den letzten Tag mit ihm genießen. Doch dann wurde sein Flug kurzfristig umgebucht. Er musste einen Tag früher los, schon Freitagmorgen statt Samstagnachmittag. Ich schließe die Augen erneut, ganz so, als könnte ich die Realität noch etwas von mir wegschieben. Aber ich kann nicht mehr einschlafen.
    Ich stehe auf, ziehe mir eine Jogginghose und ein T-Shirt über und fange an, Heribert wegzuputzen. So nenne ich das, wenn ich seine Spuren beseitige. Im Bad poliere ich den Spiegel, auf dem er heute Morgen noch Zahnpastaspritzer verteilt hat. In der Küche kippe ich den letzten Schluck Spezi weg und verstaue alle Pfandflaschen in einem großen Stoffbeutel. Die Salami, den Schinken und das letzte Stück Steak packe ich in eine Tupperbox. Im Gegensatz zu Heribert hält sich mein Verlangen nach Wurst und Fleisch in Grenzen. Ich bin keine Vegetarierin, aber ich esse höchstens einmal pro Woche Fleisch. Mein Essverhalten ändert sich allerdings immer dann, wenn Heribert zu Hause ist. Er kocht gern und viel. Und weil für ihn ein Essen ohne Fleisch kein richtiges Essen ist, gab es zwei Monate lang jede Menge Steaks, Schnitzel und Schweinebraten. Und da ich weit weniger gern koche und es toll finde, bekocht zu werden, habe ich einfach das gegessen, was auf den Tisch kam. So wurde ich erzogen. In Essensdingen bin ich wirklich unkompliziert.
    Auf dem Balkon nehme ich die Hängematte ab, die uns seine Mutter vor ein paar Monaten aus Brasilien mitgebracht hat. Im Flur packe ich seine Jacken und Schuhe in den Schrank. Dann hole ich den Staubsauger. Seine langen schwarzen Haare sind in der ganzen Wohnung verteilt. Ich sage ihm hin und wieder, dass er sich mit seinen 30 Jahren doch so langsam davon trennen könnte. Heribert jedoch denkt gar nicht daran. Ein Vorgesetzter hat irgendwann einmal zu ihm gesagt, dass er es mit langen Haaren nie zum Kapitän bringen würde. Jetzt will er es allen beweisen. Diese Geschichte erzählt er mir immer wieder. Ob sie tatsächlich stimmt, weiß ich nicht.
    Heribert ist seit zwei Jahren Erster Offizier. Er ist verantwortlich für die Seetüchtigkeit des Schiffes und für die Beladung. Ein Erster Offizier ist unmittelbar dem Kapitän nachgeordnet und bei dessen Abwesenheit sein Stellvertreter. Vielleicht dauert es nun gar nicht mehr lange bis zur nächsten Beförderung. Seine Reederei hat ihm bereits Hoffnungen gemacht, dass er demnächst zum Kapitän aufsteigen könnte. Ich glaube allerdings nicht daran. Wer macht schon einen 30-Jährigen zum Kapitän? Er wäre der jüngste Kapitän der Reederei. Im Moment wahrscheinlich der jüngste Kapitän in ganz Deutschland.
    Ich bin sehr akribisch beim Saugen und sauge sogar unter dem Sofa und hinter der Waschmaschine. Ich bilde mir ein, wenn ich Heriberts Spuren erst einmal beseitigt habe, geht es mir besser. Danach fängt etwas Neues an. Als ich endlich fertig bin, fühle ich mich aber nicht besser. Ich werde ganz sentimental und tue etwas, von dem ich schon vorher weiß, dass es ein Fehler sein wird: Ich hole seine alten Briefe heraus.
    Alle Briefe, E-Mails und Postkarten, die Heribert mir je geschrieben hat, bewahre ich in einer kleinen Holztruhe unter dem Bett auf. Ich gehe ins Schlafzimmer, bücke

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