Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
liebe es, Aufgaben durchzustreichen, sobald sie erledigt sind. Manchmal führe ich mehrere Listen parallel und schreibe sie zusammen, sobald ich mehrere Dinge auf den einzelnen Listen durchgestrichen habe. Ach ja, das Fotoalbum muss ich heute unbedingt noch zum Drucken schicken. Dann muss ich meine Klamotten waschen, einkaufen gehen, meine E-Mails lesen, meine Post durchsehen und so weiter. Morgen ist nämlich bereits mein erster Arbeitstag. Ich bin immer sehr geizig mit meinem Urlaub. Eigentlich hebe ich meinen Urlaub für die Zeit auf, in der Heribert zu Hause ist. Das führt dann oft zu dem Problem, dass ich in meinem Urlaub unbedingt verreisen möchte und er wiederum froh ist, endlich zu Hause zu sein. Meistens sieht der Kompromiss dann so aus, dass wir jemanden aus seiner Familie oder seinem Freundeskreis besuchen und es für ihn ein Besuch ist und für mich unter Urlaub verbucht werden kann.
Der ältere Herr neben mir ist nun wach, sein Enkelsohn auch. Der Kleine hat geweint und wurde von seiner Mama zum Frühstück nach vorne geholt. Das Frühstück war eigentlich ganz okay. Nur der Kaffee war scheußlich. Getrunken habe ich ihn trotzdem. Gleich landen wir in London. Von Meikes Ehemann Laurent weiß ich, dass die Landung immer die gefährlichste Phase eines Fluges ist. Noch gefährlicher als der Start. Kerzengerade sitze ich in meinem Sitz und versuche, mich auf mein Buch zu konzentrieren. Ich lese ganz langsam, Zeile für Zeile. Dabei bewege ich meine Lippen. Wahrscheinlich sehe ich gerade aus wie eine Analphabetin, die Lesen lernt. Es ruckelt, die Fahrwerke werden ausgefahren. Ich lese weiter. Wir verlieren an Höhe. Ich spüre, wie meine Ohren zuploppen. Ein paar Kinder beginnen zu weinen. Noch immer lese ich. Dann spüre ich das unsanfte Aufsetzen der Räder, alles in der Maschine ist in Bewegung. Die Schreie der Kinder haben etwas Hysterisches. Wir werden langsamer. Ich bin erleichtert. Jetzt noch die Strecke nach Berlin, und dann reicht es mir erst einmal für eine Weile mit der Fliegerei. Heribert wird sich sicher freuen, wenn ich ihm erzähle, dass ich so schnell nicht wieder wegfliegen möchte.
Ich suche meine Sachen zusammen, packe alles in meinen Rucksack und hole mein Handy aus der vordersten Tasche. Eigentlich dürfen die Handys jetzt noch gar nicht eingeschaltet werden. Aber die anderen Passagiere tun es auch, und außerdem bin ich neugierig, ob ich in den vergangenen Stunden eine SMS bekommen habe. Ich mache das Telefon an, gebe meine PIN-Nummer ein und warte. Mittlerweile haben wir unsere endgültige Parkposition erreicht. Bis zum Aussteigen kann es aber trotzdem noch dauern, das weiß ich aus Erfahrung. Viele der Fluggäste stehen bereits im Gang, sie haben ihre Jacken an und ihr Gepäck in den Händen. Ich gehörte noch nie zu diesen Zuerstaussteigern. Ich bleibe immer bis zur letzten Minute sitzen. Auch im Zug, in der U-Bahn und im Kino. Heribert ist da ganz anders. Er springt immer sofort auf, ganz so, als würde er sonst etwas verpassen. Meistens verlangt er auch von mir, dass ich aufstehen solle. Manchmal streiten wir uns nur deshalb, weil ich noch sitzen bleibe. Das wiederum führt natürlich nur dazu, dass ich noch weniger gern aufstehe.
Mein Telefon vibriert in meiner Hand. Ich habe eine SMS erhalten. Sie ist von Heribert. Aufgeregt lese ich die Nachricht. Ich lese sie immer wieder. Und beim Lesen bin ich froh, dass ich gerade nicht umfallen kann.
»Willkommen in Europa, meine kleine Weltenbummlerin! Ich hoffe, du hattest einen angenehmen Flug! Ich freue mich darauf, bald wieder mit dir zu telefonieren. Es gibt viel zu erzählen … Ich liebe dich! Dein Kapitän Riesenhuber«
Kapitel 6: Weihnachten und Silvester
A us dem Urlaub zurückzukommen ist gar nicht so schlimm wie befürchtet. Noch in der Luft stelle ich fest, dass Berlin unter einer weißen Schneedecke viel schöner aussieht als unter dem sonst üblichen Grauschleier. Auch den Temperatursturz verkrafte ich weit besser als gedacht. Ich will trotzdem schnell nach Hause, schließlich muss ich die ganze Welt darüber informieren, dass Heribert zum Kapitän befördert wurde. Doch zuallererst muss ich natürlich mit ihm selbst sprechen. Ich muss es von ihm selbst hören, sonst kann ich es nicht glauben. Schon aus London habe ich ihm zahlreiche SMS geschrieben. Im Bus schreibe ich ihm noch einmal. Ich schreibe ihm, dass ich in ein paar Minuten zu Hause bin.
Ich sehe aus dem Bus und sehe überall leuchtende Schwibbögen in
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