Seemannsbraut: Eine 40000 Kilometer lange Liebesgeschichte (German Edition)
kaum vorstellen. Tabletten, Spritzen, Katheter und noch vieles mehr. Ich hatte in Bremen zwar auch Vorlesungen in Medizin, aber nun Krankenschwester für knapp dreißig Leute zu sein ist dann doch etwas anderes.
So, meine liebe Nancy, ich werde jetzt mal langsam zum Schluss kommen. Leider habe ich nicht mehr viel Zeit. Ich hoffe, du bist mir deswegen nicht böse.
Ach ja, noch kurz eine lustige Geschichte: In Japan war ich mit dem Kapitän und zwei Azubis an Land zum Essen. Erst waren wir einkaufen, dann haben wir uns ein Restaurant gesucht. Es hat aber ganz schön gedauert, bis wir uns für eines entschieden hatten. Der Kapitän tat zwar ganz weltmännisch, aber er wusste wohl auch nicht so recht, wie und wo wir essen sollten. Als wir dann endlich in einem Restaurant saßen, sprach natürlich kein Mensch Englisch. Mein Gott, war ich froh, als die Bedienung mit Speisekarten kam, in denen Bilder vom Essen abgebildet waren. Auch der Kapitän atmete auf, er wollte sich doch nicht vor den Azubis blamieren. Jedenfalls bekamen wir dann auch tatsächlich etwas zu essen. Einer aß sogar Sushi, wobei ich dann alles erzählen konnte, was ich von dir über die Sushi-Kultur gelernt habe. Danke, dass du mich ab und zu dazu bringst, etwas Neues auszuprobieren. Oh, Gott, habe ich das jetzt wirklich geschrieben?
Ich liebe und vermisse dich so wahnsinnig, pass bitte gut auf dich auf! Ich brauche dich nämlich noch. Bis bald hoffentlich!
Dein Heribert
Ich werde wach. Mein Nacken schmerzt. Mein rechtes Bein ist eingeschlafen. Ich ziehe die Schlafbrille von meinem Kopf. Es ist sehr hell im Flugzeug. Ich muss etwas blinzeln, nur langsam gewöhne ich mich an das Licht. Der ältere Herr neben mir schläft, auf seinem Schoß sitzt sein Enkelsohn, auch er scheint zu schlafen. Der Junge ist vielleicht ein Jahr alt, er sieht niedlich aus. Er hat blonde Haare und lange dunkle Wimpern. Ich sehe ihn mir ganz genau an. Zwischen seinen Händen und seinen Unterarmen hat er zwei riesige Speckfalten. Er sieht so friedlich aus. Schlafende Kinder sind entzückend, finde ich.
Meine größte Sorge auf Langstreckenflügen ist die, eine Mahlzeit zu verpassen. Ich sehe auf die Uhr, in anderthalb Stunden landen wir in London. Die Stewardessen sind gerade dabei, das Frühstück vorzubereiten. Der Geruch von Kaffee liegt in der Luft. Ich bin erleichtert.
Eigentlich würde ich jetzt gern mal auf die Toilette gehen, aber dazu müsste ich über meine beiden Sitznachbarn klettern. Ich halte es sicher noch ein bisschen aus, sage ich mir. Ganz vorsichtig schiebe ich den Sichtschutz am Fenster nach oben. Draußen haben sich kleine Eiskristalle an der Scheibe gebildet und sich zu hübschen Formationen zusammengeschlossen. Ich sehe mir die Eiskristalle an und beginne darüber nachzudenken, was ich heute noch alles erledigen muss.
Wenn ich in ein paar Stunden in Berlin ankomme, muss ich mich erst einmal bei allen möglichen Leuten zurückmelden. Bei meinen Eltern, Großeltern, bei Peter, bei Meike und bei meinem Kollegen Marcus. Allen anderen schreibe ich in den nächsten Tagen eine SMS oder eine E-Mail. Eileen muss ich auch schreiben. Ich bin abergläubisch. Ich bin noch in der Luft, aber im Kopf formuliere ich schon die Textnachrichten, dass ich gut gelandet bin. Das kann doch nicht gutgehen. Ich suche nach Holz, um darauf zu klopfen. Es gibt hier kein Holz. Also klopfe ich mir dreimal gegen die Stirn. Das muss reichen, denke ich. Wenn ich in Berlin lande, wird alles weiß sein. Es hat geschneit, das habe ich im Internet gelesen. Außerdem ist bereits Advent. Ich komme gerade aus dem australischen Frühling. Und mir ist weder nach Schnee noch nach Weihnachten. Außerdem frage ich mich, wie ich wohl den Temperatursturz von fast 25 Grad verkraften soll. Am liebsten würde ich sofort wieder umkehren.
Dann denke ich an Heribert. Ich bin traurig, dass er mich auch diesmal nicht vom Flughafen abholen wird. Ich hole ihn immer ab, wenn er nach Hause kommt. Ich bin gerade kurz davor, wieder einmal wütend auf ihn zu werden, ohne dass er etwas dafürkönnte. Das ist nicht fair. Ich habe Urlaub gemacht, während er Tag und Nacht arbeiten musste. Sieben Tage die Woche, und das nun schon seit fast drei Monaten.
Bei Heribert muss ich mich heute natürlich auch noch melden. Fast drei Wochen habe ich nur per SMS mit ihm kommuniziert. Ich freue mich darauf, endlich wieder seine Stimme zu hören.
Am liebsten würde ich mir jetzt eine Liste schreiben. Ich liebe Listen. Ich
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