Seerache
Mutmaßung vielleicht, ja. Aber welcher Richter gibt schon etwas auf Mutmaßungen? Ihr müsst euch noch ein paar Minuten gedulden.«
Jo zog eine Schnute, während sie ihre Schokolade lutschte, als unvermittelt ihr Handy klingelte. Sie nahm das Gespräch an, dann reichte sie das Handy nach vorne. »Für Sie, Chef.«
Wolf nannte seinen Namen und hörte zwei Minuten lang hochkonzentriert zu, zwischendurch allenfalls ein »Aha« oder »So, so« von sich gebend. Schließlich unterbrach er die Verbindung und gab das Handy zurück.
»Was Neues in unserem Fall?«, wollte Vespermann wissen.
»Das war Henning, mein Sohn. Er und die Winter sind wieder frei.«
»Wie, frei … was soll das heißen?«, fragte Vespermann irritiert.
»Richtig, du kennst ja die Vorgeschichte nicht. Karin Winter ist nach Mallorca gereist, um in Sachen G.E.T. zu recherchieren, und wurde prompt entführt. Mein Sohn ist bei dem Versuch, Frau Winter zu befreien, selbst in die Hände der Entführer geraten. Die beiden saßen auf einer alten Finca fest, aber die Kollegen von der Guardia Civil haben sie schließlich rausgeholt. Die beiden sind so weit wohlauf.«
»Ja, und, konnten sie die G.E.T. -Spur weiterverfolgen?«
Wolf schilderte kurz, was Henning ihm berichtet hatte. »Unser Verdacht gegen die G.E.T. und ihre Geschäftsführer scheint damit bestätigt«, schloss er.
Verwundert hob Jo die Augenbrauen. »Also haben wir es tatsächlich mit einer weiteren Tätergruppe zu tun. Unter diesen Umständen können wir eine schnelle Lösung wohl vergessen.«
»Lieber mehrere Täter als gar keiner, oder?«, meinte Vespermann achselzuckend. »Was ist nun mit meinem Feierabend?«, fragte er erneut.
Anstelle einer Antwort sah Wolf auf die Uhr. »Okay, die zehn Minuten sind um. Jo, du kommst mit, wir statten Grabert einen Erkundungsbesuch ab. Du, Gerd, bleibst im Wagen. Wenn wir in einer Viertelstunde nicht zurück sind, kommst du nach – aber bitte mit äußerster Vorsicht. Ich hoffe, ihr habt eure Dienstwaffen dabei.« Er öffnete die Beifahrertür.
»Was soll dieses Herumgeeiere? Warum marschieren wir nicht einfach geschlossen da rein?«, murrte Vespermann. Doch Wolf und Jo hatten den Wagen bereits verlassen, zügig gingen sie auf Graberts Haus zu.
Wie zu erwarten war, erwies sich das mannshohe Schiebetor als fest verschlossen. Suchend sah Wolf sich um. Soweit er das von hier aus erkennen konnte, war das Grundstück von einer hohen Mauer umgeben, nirgends sah er eine Lücke, durch die sie sich hätten zwängen können.
»Klingeln, Chef?«, flüsterte Jo.
Wolf schüttelte den Kopf und wies auf die Linse einer Minikamera, die kaum sichtbar in das Klingeltableau eingebaut war. Er stellte sich mit dem Rücken zum Tor und verschränkte die Hände vor dem Bauch. »Räuberstäffele«, sagte er. Mit einer Kopfbewegung forderte er Jo auf, auf seine Hände zu steigen.
»Ich vermute, dass sich das Tor von innen entriegeln lässt«, meinte er leise.
Jo ließ sich nicht länger bitten, sondern kletterte mit seiner Hilfe über das Tor.
Kurz darauf vernahm er auf der Innenseite ein leises Plopp. Sekunden später schob Jo geräuschlos das Tor auf, und Wolf schlüpfte schnell hindurch, bevor es wieder zufiel.
Als Jo ihre Dienstwaffe zog, schüttelte Wolf abermals den Kopf. Mit einer Armbewegung bedeutete er ihr, das Haus nach rechts zu umrunden. Er selbst wollte die linke Seite übernehmen. Nach einem zustimmenden Nicken setzte sie sich in Bewegung.
Zügig – und so weit möglich in Deckung der meist kahlen Sträucher – überquerte Wolf den Rasen, bevor er der Hauswand nach links folgte. Trotz der vorgerückten Dämmerung brannte nirgends Licht. Um nicht vorzeitig entdeckt zu werden, passierte er die Fenster auf den Knien, eine Prozedur, die ihn sichtlich Mühe kostete. Voll Neid stellte er sich die katzenhaften Bewegungen seiner jungen Kollegin vor, wischte den Gedanken jedoch mit einem trotzig geflüsterten »Na und?« beiseite. Auch sie würde irgendwann einmal in seine Lage kommen.
An der Ecke des Hauses legte er einen kurzen Stopp ein. Vorsichtig versuchte er, das vor ihm liegende Gelände zu überblicken, was bei der Ausdehnung des Grundstückes und den zahlreichen Stauden und Bäumen nicht einfach war. Immerhin, Grabert schien über den vielzitierten grünen Daumen zu verfügen. Oder über einen versierten Gärtner. Ach ja, und natürlich über das nötige Kleingeld.
Wo mochte sich Grabert aufhalten? Irgendwo im Haus? Was trieb er
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