Seeraeuber vor Sylt
schlecht ging. Aber sie würde ihm helfen, so gut sie konnte. Sie mochte den alten Schiffskoch. Und es war beruhigend, einen Verbündeten zu haben. Zumal, wenn man sich auf einem Piratenschiff befand.
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Schwere Gedanken
Die Nacht verbrachten Jaike und Broder inmitten der schnarchenden Seemänner im Heck der Rosenboom. Dicht nebeneinander lagen sie auf zwei großen Ballen im hinteren Laderaum. Broder hatte den Arm um Jaike gelegt.
»Ich pass gut auf dich auf«, raunte er ihr ins Ohr.
Jaike grinste. Sie kannte Broder. Er war froh, in ihrer Nähe sein zu dürfen. Oft träumte er schlecht und wurde erst dann ruhig, wenn sie ihn fest an sich drückte.
Als die Männer um sie herum schliefen, erzählte Jaike Broder, was sie von Ouwe über Rasmus Rohlfs erfahren hatte.
»Stell dir vor«, sagte sie und bekam eine Gänsehaut bei ihren eigenen Worten, »Rasmus hat sicher viele Menschenleben auf dem Gewissen. Aber uns hat er jetzt das Leben gerettet.«
Eine Weile noch lagen die beiden Kinder wach und dachten über all das nach, was sie erfahren hatten. Es war nicht leicht zu verstehen, was Recht undwas Unrecht war. Natürlich war es gottlos, Schiffe zu plündern und Menschen zu töten. Aber war es denn rechtens, dass die Hansekaufleute in Hamburg, Wismar oder Lübeck immer reicher wurden und die einfachen Menschen an der Küste trotz harter Arbeit Hunger litten? Und hieß es nicht, die Likedeeler würden die geraubte Ware auf den Märkten in Friesland nicht nur verkaufen, sondern manches auch an die Armen verteilen?
Broder musste an den alten Pidder denken, der Irrlichter gesetzt hatte, um Schiffe zum Kentern zu bringen, damit er an ihre Ladung kam. Piratenschiffe waren darunter gewesen, genauso wie Schiffe der Hanse. Aber auch an Gerhard dachte Broder. Das war also der Sohn des Grafen, des mächtigsten Mannes in Friesland. Und jetzt saß dieser vornehme Grafensohn im Bauch eines Piratenschiffes und war schlechter dran als er, der Waisenjunge aus Rantum.
Und über all diese schwierigen Gedanken schlief Broder, erschöpft von dem langen Tag, endlich ein.
Jaike jedoch fand durch das dröhnende Schnarchen um sie herum keine Ruhe. Oder war es die Angst, was aus ihr und Broder werden sollte, die sie nicht schlafen ließ?
Schließlich schob sie Broders Arm zur Seite undstand auf. Im Stockfinstern tastete sie sich durch den Laderaum. Der Seegang war wieder kräftiger geworden. Ohne auch nur einen Schatten oder Umriss ihrer Umgebung erkennen zu können, war es schwer, sich auf dem schwankenden Schiff zu bewegen.
Und so holte sie sich einige blaue Flecken, bevor sie im Bug der Rosenboom ankam. An den regelmäßigen Atemzügen erkannte sie, dass Gerhard schlief. Aber sie brauchte sich nur einmal zu räuspern, da war er auch schon wach. Sie hörte, wie er erschrocken den Atem anhielt.
»Keine Angst. Ich bin’s. Jaike«, sagte sie leise.
»Ach, du!« Gerhard seufzte erleichtert. »Immer wenn jemand kommt, denke ich, jetzt holen sie mich.«
Jaike ließ sich neben ihm auf dem Boden nieder. »Was wollen die denn von dir?«, fragte sie.
Gerhard schwieg eine Weile. Er musste seine Gedanken sammeln. So viele Tage hockte er hier nun schon alleine unter Deck, dass ihm das Reden schwerfiel.
»Der Kapitän hält mich als Geisel, bis mein Vater wiederkommt. Wenn er nicht spätestens in vier Tagen mit dem Geld da ist, werde ich getötet.«
Jaike biss sich auf die Unterlippe. »Aber das können sie doch nicht machen!«, rief sie.
»Psst, nicht so laut«, ermahnte sie Gerhard. »Natürlich können sie das machen. Sie haben unser Schiff überfallen, die Hälfte der Mannschaft ist dabei ums Leben gekommen.«
Jaike hielt den Atem an. »Und dann?«
»Dann haben sie festgestellt, dass nur Fässer mit gesalzenem Fisch an Bord waren und keine großen Schätze. Da haben sie das Schiff versenkt. Meinen Vater haben sie mit dem Rest der Mannschaft in ein Beiboot gesetzt, damit er einen ordentlichen Batzen Gold besorgt. Und mich haben sie als Geisel hierbehalten.«
Jaike ballte die Faust. Es gab keinen Zweifel: Sie waren auf einem Piratenschiff gelandet. Ein Menschenleben zählte hier nur so lange, wie es zu etwas zu gebrauchen war.
Das Herz wurde ihr plötzlich schwer. War es nicht überall so? Wer nicht arbeiten konnte, der musste zusehen, wo er blieb. Wer alt oder schwach war, der lebte nicht lange. Nur bei den Edelleuten, da war es anders. Die arbeiteten nicht und es ging ihnen trotzdem gut.
Doch dann hörte Jaike wieder
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