Seeraeuber vor Sylt
verängstigt.
»Noch vier Tage warten wir und keinen Tag länger«, antwortete der Kapitän. »Wenn dein Vater bis dahin nicht auftaucht, dann …« Er brach ab. Sein Blick wanderte missmutig über die glatte See, als suche er etwas.
»… dann gnade dir Gott«, flüsterte Jaike unwillkürlich. Irgendetwas Bedrohliches ging hier vor sich, auf diesem fremden Schiff. Das war kein normales Handelsschiff, das spürte sie. Es trug ein Geheimnis mit sich. Es roch geradezu nach Tod und Unglück. Oder lag das nur daran, dass die Pest auf dem Schiff gewütet hatte?
»Iss jetzt auf.« Der Kapitän schob dem Jungen mit der Stiefelspitze einen Brotkanten zu. Dann schickte er ihn zur Leeseite des Schiffes, die dem Wind abgewandt war. Jaike schaute nicht hin. Sie konnte sich denken, dass er dem Jungen so die Gelegenheit gab, sein Wasser zu lassen. Ihr Blick ging nach oben.
Broder hockte fast direkt über ihr in der Takelage des Großmastes. Von dort oben hatte er den fremdenJungen sicher einfach nur für einen Matrosen gehalten. Sie musste ihm unbedingt erzählen, was sie gehört hatte.
Doch ihr blieb nichts anderes übrig, als sich bis zum Abend zu gedulden.
Nachdem Ouwe den Jungen wieder unter Deck gebracht hatte, halste er ihr jede Menge Arbeit auf. Sie musste die dreckigen Töpfe, Pfannen und Löffel mit Salzwasser schrubben. Danach bereitete sie einen riesigen Topf mit Grütze vor, der zum Abendessen gereicht werden sollte.
Und schließlich ließ Ouwe sie die Hemden des Kapitäns in einem Bottich waschen. Sie waren aus feiner Seide, die Jaike mit ihren aufgerissenen Fingern kaum anfassen mochte. Als sie große Blutflecken auf einem der Hemden entdeckte, erschrak sie.
Was war nur auf diesem Schiff passiert? Sie nahm sich vor, den Jungen zu suchen, um mit ihm zu reden. Es schien doch fast, als ob er wie ein Gefangener gehalten wurde, oder?
Als es dunkelte, bekam Jaike eine Gelegenheit, unter Deck zu gelangen, dorthin, wo die Ladung gestapelt wurde. Ouwe brauchte trockenes Holz für die Feuerstelle, um Wasser heiß zu machen. Er selbstkonnte sich vor Schmerzen kaum noch auf den Beinen halten. Und so schickte er Jaike los.
»Nimm deinen Freund mit«, sagte er – sehr zu ihrer Freude. »Er kann dir mit dem Holz und der schweren Luke helfen.«
Broder saß erschöpft am Fuß des Großmasts. Obwohl er harte Arbeit gewohnt war, hatte ihn das Klettern in der Takelage angestrengt. Ein falscher Griff, ein Tritt daneben und er wäre an die zwanzig Meter tief hinuntergefallen. Trotzdem war er allerbester Laune.
»Düwel ouk!«, sagte er, als er Jaike stolz von seiner neuen Arbeit erzählte. »So ein Holk ist doch was anderes als Pidders altes Fischerboot.«
»Ja«, antwortete Jaike grimmig. »Das kann man wohl sagen.« Und dann berichtete sie ihm all das, was sie im Laufe des Tages gesehen und gehört hatte.
»Komm«, drängelte sie. »Lass uns diesen Prinzen suchen gehen. Er ist irgendwo im Laderaum untergebracht.«
Während die Kinder miteinander redeten, waren sie zur Ladeluke gegangen und hatten die schwere Tür hochgestemmt. Eine Trittleiter führte unter Deck.
Es war nahezu dunkel in dem niedrigen, vollgestopftenRaum. Kisten und Ballen stapelten sich im ganzen Schiffsbauch. Zu gerne hätte Jaike sich umgeschaut, um herauszufinden, was für eine Ladung die Rosenboom mit sich führte.
»Wir sehen erst mal im Bug nach«, flüsterte sie Broder zu und zog ihn zum vorderen Teil des Schiffes. Vorsichtig tastete sie sich voran.
Sie brauchten nicht lange zu suchen. So groß war das Schiff nicht. In der Bugspitze saß er, der fremde Junge. Sie hörten seinen Atem. Er ging laut und unruhig, so als hätte der Junge Angst.
»Fürchte dich nicht«, raunte Jaike. »Ich bin es nur. Das Mädchen, das dem Schiffskoch hilft.«
Ein paar Sekunden lang antwortete der Junge nicht. Dann räusperte er sich. »Aber ihr seid doch zu zweit, das habe ich an euren Schritten gehört.«
»Broder ist bei mir«, sagte Jaike. »Wir sind erst seit heute Morgen an Bord. Der Kapitän hat uns im Sturm das Leben gerettet.«
Der Junge lachte ein Lachen, das seltsam bitter klang. »Mir hat er auch das Leben gerettet.«
»Aber warum bist du dann hier unten?«, fragte Broder. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Er konnte erkennen, dass der Junge auf einem Stoffballen am Boden hockte. Und er sahauch die Fußfessel, mit der er angekettet war. »Lässt er dich nicht arbeiten, weil du ein Prinz bist?«
Wieder lachte der Junge sein hartes
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