Seeteufel
informieren.«
Auf dem Weg zurück in sein Büro hatte Wolf einen gesunden Hunger verspürt und sich in der Kantine kurzerhand zwei Butterbrezeln besorgt. Nun saà er in seinem Büro und kaute auf beiden Backen, als sein Telefon klingelte.
»Wollen Sie vorab den Artikel lesen, der morgen früh neben Ihren Phantombildern stehen wird, Herr Wolf?«, fragte Karin Winter.
»Was soll das bringen? Ich verlass mich da ganz auf Sie, Sie sind der Profi. Hauptsache, die Bilder kommen gut ⦠Entschuldigen Sie, nichts gegen Ihre Schreibe, ich meine nur â¦Â«
»Schon verstanden. Aber dass mir später keine Klagen kommen. Was ist eigentlich aus meiner Liste der vermögenden alten Damen geworden? Haben Sie in dieser Sache schon etwas erreicht?«
Wolf, der ihre Frage befürchtet hatte, versuchte abzuwiegeln. »Nicht wirklich. Wennâs was Neues gibt, melde ich mich.« Er musste der Winter ja nicht unbedingt auf die Nase binden, was sie angeleiert hatten. Was nicht aus der Direktion herausdrang, konnte auch nicht an die groÃe Glocke gehängt werden.
So einfach lieà sich Karin Winter jedoch nicht abspeisen. »Und das soll ich Ihnen abnehmen? Nun enttäuschen Sie mich aber, Herr Wolf. Wie ich Sie kenne, haben Sie die Namen längst überprüfen lassen. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass sich dabei bestimmte Verdachtsmomente ergeben haben und dass Sie weiterermitteln. Nun kommen Sie schon, lassen Sie die Katze endlich aus dem Sack!«
Wolf versuchte es mit einem Winkelzug: »Wohnen Sie eigentlich noch im Hotel?«
Doch Karin Winter durchschaute das Spiel. »Lenken Sie nicht ab! Mein Chef vertritt seit Langem die Meinung, ich sei Ihr bestes Pferd im Stall. Wenn dem so ist, sollten Sie mich bei Laune halten.« Sie begann, verhalten zu kichern. »Sie wollen doch nicht, dass ich auf eigene Faust ermittle, oder?«
Wolf begann vernehmlich zu seufzen. Er hatte es geahnt: Wenn ihm die Winter so kam, konnte er ihr sein Wissen kaum vorenthalten. Es war ja richtig, sie hatte eine wichtige Vorarbeit geleistet, ohne die die Ermittlungen kaum so weit gediehen wären â zumindest nicht so schnell. Genau genommen hatte sie sie überhaupt erst an diesen Ermittlungsstrang herangeführt. Sicher, früher oder später wären sie von selbst drauf gekommen ⦠trotzdem â¦
Dieses »trotzdem« gab den Ausschlag, entschlossen schob er alle Bedenken beiseite. »Also gut«, meinte er versöhnlich, »Sie lassen ja doch nicht locker. Noch heute wird eine der Frauen, die auf Ihrer Liste stehen, exhumiert.«
»Wo?«
»Auf dem Hauptfriedhof Ãberlingen.«
»Wann?«
»Sechzehn Uhr.«
Sie kicherte erneut. »Ich werde da sein.«
»Aber â¦Â«
»Weià schon: dezent im Hintergrund. Und die Information hab ich selbstverständlich nicht von Ihnen. Sie können sich auf mich verlassen, Herr Wolf. Ich weià auch, dass das Ganze sehr unspektakulär verlaufen wird, aber ich brauche wenigstens ein Bild von der Ausgrabung, zur Abrundung meines späteren Berichts. Danke â bis später.«
Wolf konnte nur hoffen, dass sie sich auch an ihre Zusage hielt. Mit zwiespältigen Gefühlen fingerte er eine Zigarette heraus und steckte sie an.
*Â *Â *
Punkt sechzehn Uhr verlieà eine kleine Gruppe das Verwaltungsgebäude des Städtischen Friedhofs Ãberlingen. Ihr Ziel war eines der neueren Gräberfelder im nördlichen Teil des Gottesackers. AuÃer Wolf waren Staatsanwalt Dr.  Hirth, ein Beamter der Friedhofsverwaltung mit zwei ihm unterstellten städtischen Arbeitern sowie der Inhaber des seinerzeit beauftragten Bestattungsunternehmens anwesend â diese Gruppe nun unterschied sich von den üblichen Trauerzügen im Wesentlichen dadurch, dass der von ihr mitgeführte Wagen den Sarg nicht, wie sonst üblich, auf dem Hinweg, sondern erst auf dem Rückweg tragen würde. Im Ãbrigen war ihr Auftritt ganz offenkundig rein geschäftlicher Natur: Sämtliche Beteiligten gingen ohne schwarze Anzüge, ohne zur Schau getragene Trauermienen, ohne das bei solchen Gängen zelebrierte respektvolle Schweigen.
Ein Glück, dass das Wetter heute mitspielt, dachte Wolf. Das ersparte ihm dreckige Schuhe durch das Herumstapfen in dem aufgeweichten Aushub. Er hatte im Verlauf seiner fast vierzig Dienstjahre ein gutes Dutzend Exhumierungen mitgemacht, der
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