Segel aus Stein
hierher zurückgekommen war, um nie mehr wegzugehen. Er praktizierte nicht mehr als Arzt. Willst du keine Praxis aufmachen?, hatte sie ihn gefragt. Es gibt doch nur dreihundert Ärzte im Land. Die Götter wissen, dass du gebraucht wirst. Welche von ihnen?, hatte er geantwortet, und sie hatte gewusst, dass es kein Scherz war. Als sie wieder nach Schweden zurückfuhr, wusste sie so viel mehr über ihren Vater und ihre Mutter. Ihr Vater hatte mehrere Götter. Die Anzahl der Moslems war nur eine Zahl in der Statistik. All die anderen Götter warteten dort draußen im Licht und in der Dunkelheit, an den drückend heißen Tagen und in den entsetzlich kalten Nächten. Ihr Vater sprach mit den Göttern, manchmal mit den Geistern, aber der Unterschied zwischen Göttern und Geistern schien beliebig.
Manche Geister waren stark und mächtig wie Löwen, die töten können.
Andere waren milder, unbestimmter, wie die Baumgeister.
Aber hinter allem stand immer der Gedanke Macht. Alles, dem wir begegnen, besitzt Macht, hatte ihr Vater gesagt. Ein Löwe, eine Schlange, der Blitz, ein Fluss. Alle können Menschen töten, und darum müssen sie von sehr starken Geistern bewohnt sein.
Das Meer kann Menschen töten, dachte sie jetzt plötzlich. Warum dachte sie das? An Burkina Faso grenzte kein Meer.
Ihr Vater hatte über die Sprache geredet. Die wichtigste Kunstform Afrikas war die Sprachkunst. Es gibt mehr als tausend Sprichwörter in jeder Sprache, hatte er gesagt.
Himmel, hatte sie auf dem Weg nach Hause im Flugzeug der Air France gedacht, woher komme ich? Woher komme ich? Wer bin ich?
Was wird aus mir?
Sie nahm einen kleinen Schluck Wein, der schwer war und nach Eiche und Leder duftete.
Was wird aus mir?
Ich bin über dreißig und schwarz wie die Tropennacht. Es gibt noch mehr wie mich in diesem weißen unschuldsvollen Land. Die Menschen sind weiß und der Boden ist weiß. Mama hätte mich gern mit einem netten Neger zusammen gesehen. Ein Weilchen hat sie das erleben dürfen, aber nicht lange. Jetzt interessiert mich das nicht mehr.
Sie dachte wieder an das Mittagessen im Speisesaal des Hotels, das letzte, das sie mit ihrem Vater zusammen eingenommen hatte. Das besondere koloniale Geklapper in dem großen Raum. Der Sand, der sich weigerte, den Raum zu verlassen, trotz energischer Bemühungen durch Personal und Gäste. Der Wind, der durch die Ritzen der gigantischen hölzernen Jalousien der lächerlich großen Fenster drang, lächerlich groß, da sie keinen Schutz boten.
Die Götter sollen wissen, dass DU gebraucht wirst, Aneta, hatte ihr Vater gesagt und sie mit einem Lächeln angeschaut, das nur seine Tochter sehen konnte. Tüchtige Polizisten sind wichtig für ein modernes Land. Gibt es in diesem Land nicht genügend Polizisten?, hatte sie geantwortet. Das sind keine richtigen Polizisten, hatte er geantwortet, und er wusste alles darüber und nichts. Es waren keine guten Polizisten. Eine richtige Gesellschaft braucht gute Polizisten, dann wird sie zu einer gütigen Gesellschaft.
Hatte er einen Scherz gemacht? So hatte es nicht geklungen. Was bedeutete es? In den letzten Jahren in Schweden, bevor er zurückkehrte, hatte er in Aphorismen und Rätseln gesprochen, als würde er etwas sehen, was niemand sah, oder sich an Dinge erinnern, an die sich niemand erinnerte. Sie hatte es faszinierend gefunden und gleichzeitig erschreckend. Ihre Mutter hatte es verrückt gefunden und ihm gar nicht mehr zugehört.
Eine richtige Gesellschaft braucht gute Polizisten, dann wird es eine gütige Gesellschaft. Das lass mal auf dich wirken, Aneta. Vielleicht sollte sie auf dem Polizeikongress einen Antrag stellen und vorschlagen, dass der Satz in Gold oder Silber graviert wird, vielleicht auf den Schirmmützen, auch auf denen, die im Polizeipräsidium ausgestellt werden: ein Satz, um den sich alle versammeln könnten, Güte. Dorthin streben wir alle, und die, die nicht danach streben, fangen wir in unseren Armen auf und tragen sie in eine bessere Welt.
Das ist unsere Aufgabe in diesem Erdendasein. Sie nahm wieder einen Schluck Wein. Damit trieb man keine Scherze, das war kein Grund, zynisch zu werden. Und dennoch sieht es gedruckt so verflixt albern aus und klingt noch schlimmer in der gesprochenen Rede. Güte wirkt gedruckt und gesprochen alberner als das Böse.
Das Böse, das bist du und das bin ich. So dachte sie jetzt. Es war ein wahrer Gedanke, und es war ihr eigener.
In der Nacht träumte sie von Türen, die geschlossen und nie
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