Segel aus Stein
fuhr durch Toltorpsdalen, das wie ein Ort aus einem Märchen klang. Bei der Kirche bog sie links ab und schlich über die verdammten Wegunebenheiten, fünfzig Meter zwischen jedem neuen Buckel. Berufsfahrer hassten die Unebenheiten: Busfahrer, Taxifahrer, Lieferanten, Polizisten. Sie sah sich um. Die Anwohner hassten die Unebenheiten manchmal; die Luft wurde noch mehr von Schwingungen erschüttert. Schon früher hatte Toltorpsdalen die schlechteste Luft der Stadt, die wiederum die schlechteste Luft von Nordeuropa hat.
In Krokslätt ging es immer abwärts. Sie ließ den Wagen rollen, ohne Gas zu geben, und parkte hinter der Sörgärdskolan.
Hier war es idyllisch. Hier, auf der Grenze zwischen dem rauen Zentrum von Mölndal und dem Abgrund der Großstadt, die in Höhe von Liseberg begann, zögerte die Stadt. Hier herrschte Frieden, wie ein schützender Arm verlief die Fridkullagatan von Westen nach Norden, hier war es ruhig wie im Auge des Orkans. Wer hier blieb, fand Frieden.
Anette Lindsten war nicht geblieben. Warum sie das idyllische Fredriksdal gegen ein zum Tode verurteiltes Kortedala vertauscht hatte, war eine Frage, die nur die Liebe beantworten konnte. Anette war der Liebe wegen in den von Jahreszeiten durchwehten Stadtteil gezogen, einen Stadtteil, in dem die Behörden jetzt anfingen, ihre eigenen Häuser zu sprengen, und als auch die Liebe zerstört war, war Anette hierher zurückgekehrt, wieder nach Hause.
Aneta Djanali stand vor der Villa, die von einer Hecke verborgen wurde, die schwer zu überklettern und auch sonst nicht leicht zu durchdringen war. Das Haus war aus Holz wie die meisten Häuser hier, gebaut zwischen den Kriegen, erweitert in Zeiten des Wohlstands, gut erhalten in Zeiten des Unheils, der Gegenwart. Aneta Djanali zögerte vor dem eisernen Zaun, der kürzlich abgeschliffen worden war und bald frisch gestrichen werden sollte. Warum lasse ich diese Menschen nicht in Frieden? Welche Antwort erwarte ich? Ich bin den ganzen Scheiß so leid, bin's leid, dass die Frauen ein langes Leben in Angst leben müssen, im Exil in ihrem eigenen Land, schlimmer noch, wie Flüchtlinge an geschützten Orten leben müssen, versteckt vor staatlichen Behörden und ihren Urteilen und vor der ausführenden Macht, die ich verkörpere . Wir . Polizisten. Die, dachte sie. Das bin nicht ich, das sind die anderen. Ich würde Kinder nicht auf Befehl aus einer Kirche schleppen. Das hat man früher getan, und diese Bilder sind nicht die hübschesten im Album über die Zeit der Menschheit auf der Erde. Jetzt versteckt sich Anette hier zu Hause. Ist das genug?
Sie sah ihre Hand auf den Klingelknopf drücken. Ich will nichts weiter als sehen, dass es Anette gut geht.
Die Hand klingelte wieder. Von drinnen war Hundegebell zu hören, vielleicht vorher schon. Die Tür wurde geöffnet, und sie sah da unten ein Maul, das sich öffnete, und zwar nicht zu einem Lächeln. Der Hund knurrte. Einen Rottweiler erkannte sie, wenn sie einen sah. Es kam vor allem darauf an, sich erst mal nicht zu bewegen.
»Ruhig, Zack!«
Sie sah den Scheitel des Mannes, als er sich zu dem muskulösen Monster bückte. Was dachten die Leute in Fredriksdal, wenn die beiden einen Spaziergang unternahmen? Der Mann wandte ihr das Gesicht zu. Sie kannte ihn nicht. »Ja?«
Er öffnete die Tür halb.
»Ich möchte gern ein paar Worte mit Anette sprechen«, sagte Aneta Djanali. Sie fühlte sich überrumpelt und wusste nicht, warum.
»Sie ist nicht zu Hause«, sagte der Mann.
Der Hund knurrte zustimmend, drehte um und verschwand.
»Sie ist doch wieder zu Hause eingezogen«, sagte Aneta Djanali.
»Wie? Was sagen Sie da? Und wer sind Sie eigentlich?«
Endlich hielt sie ihren Ausweis hoch und nannte ihren Namen.
»Was wollen Sie von ihr?«, fragte der Mann, ohne einen Blick auf ihren Ausweis zu werfen.
Aneta überkam ein unheimliches Gefühl, wie Schwindel.
Sie versuchte hinter den Mann in den Flur zu spähen und sah den Hund, der auf sie wartete, jedenfalls auf einen Teil von ihr. Das Monster leckte sich schon die Lefzen.
Dieses Gefühl kannte sie: den Boden unter den Füßen verlieren. Ihre Stimme klang kräftiger, als sie sich fühlte.
»Ich möchte gern mit ihrem Vater sprechen.«
»Wie bitte?«
Der Mann sah aufrichtig erstaunt aus.
»Sigge ... Lindsten«, sagte Aneta Djanali. »Ich würde gern mit ihm sprechen.«
Sie sah Zweifel im Gesicht des Mannes. Er schielte zum Ausweis, den sie immer noch in der Hand hielt.
»Ist der auch echt?«,
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