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Segel aus Stein

Segel aus Stein

Titel: Segel aus Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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denk nicht dran«, sagte Hans Forsblad.
    »Wollen Sie mitkommen?«, fragte sie. »Ich kann Sie mitnehmen.«
    »SIE?!« Er versuchte zu lachen, aber der Versuch misslang. »Wie wollen Sie das denn schaffen?« Er machte einen Schritt auf sie zu.
    »BLEIBEN SIE STEHEN!«, rief Aneta Djanali. Die Waffe war in ihrer Hand, der Arm ausgestreckt. Nein. Aber sie war kurz davor.
    »Sind Sie verrückt?«, sagte er.
    Er war jetzt nahe bei ihr, türmte sich über ihr auf wie ein Schatten, der größer war als der Schatten des Gesetzes, der nicht zu sehen war. Das Einzige, was man sah, war die verdammte Pistole, die sie hatte ziehen müssen. Oder auch nicht müssen. Sie hoffte, er könnte nicht sehen, dass sie in ihrer Hand zitterte.
    Sie wartete auf seinen nächsten Schritt. Lieber Gott, zaubre mich hier weg. Ich will nicht auf diesen Kerl schießen. Für die nachträgliche Ermittlung hab ich keine Zeit. Er hat keine Zeit. Die Krankenpfleger haben keine Zeit. Nur die Beerdigungsbranche hat Zeit, ewig Zeit.
    Sie zielte auf ihn.
    Er setzte sich auf den Fußboden, fiel einfach zusammen. Er weinte.
    Es war ein lautes Geräusch, genau so ein Geräusch, wie sie es eben durch die Tür gehört hatte. Er hob den Kopf. Es waren echte Tränen. Das Gesicht war nackt, das Haar wie eine schlecht sitzende Perücke. Jetzt sah sie, dass er einen Anzug trug, teuer, wie es schien, Markenklamotten, die zerknittert noch exklusiver wirkten.
    Er putzte sich die Nase mit einem Taschentuch, das aus der Brusttasche herausragte. Nicht mal das fehlt, dachte sie.
    »Sie wissen nicht, was das für ein Gefühl ist«, sagte er. »Sie wissen nicht, wie das ist.«
    Aneta Djanali hatte die SigSauer gesenkt, aber nicht ins Holster zurückgesteckt.
    »Was?«, fragte sie.
    »Aus seiner eigenen Wohnung ausgesperrt zu werden«, sagte er und schluchzte, »von seinem EIGENEN
    ZUHAUSE.«
    »Sie wohnen hier schon lange nicht mehr«, sagte sie. »Wer behauptet das?« Sie antwortete nicht.
    »Die sind das.« Er starrte auf die Tür hinter ihr. »Die behaupten das. Aber die wissen nichts.«
    »Wer sind die?«, fragte sie.
    »Das wissen Sie bestimmt.«
    Sie steckte die Waffe weg. Er verfolgte ihre Bewegung mit den Augen. »Dann bin ich also nicht mehr festgenommen?« »Stehen Sie auf«, sagte sie. »Sie wissen nicht, wie das ist«, wiederholte er. Jetzt stand er auf, schwankte. »Kann ich gehen?«
    »Wie sind Sie reingekommen?«, fragte sie.
    Er hielt einen Schlüssel hoch.
    »Das Schloss ist ausgetauscht«, sagte sie.
    »Deswegen hab ich ja diesen Schlüssel«, sagte er und ließ ihn an seiner Hand baumeln. Die Tränen waren verschwunden.
    »Wie sind Sie daran gekommen?«, fragte sie.
    »Das können Sie sich doch denken«, sagte er. Plötzlich war er gewachsen. Jetzt war er ein anderer.
    Das Ganze ist zu unheimlich, dachte sie. Ich sehe, wie er sich unter meinen Augen verändert.
    »Sie hat ihn mir natürlich gegeben«, sagte er. »Kann ich jetzt gehen?«
    Er drehte sich um, ging ins Zimmer und kam unmittelbar darauf zurück mit einer Aktentasche, die teuer aussah, teuer wie sein Anzug.
    »Die brauch ich«, sagte er.
    »Geben Sie mir den Schlüssel«, sagte sie.
    »Sie hat ihn mir geliehen«, sagte er. Seine Stimme klang trotzig wie die eines Kindes. Er zog eine enttäuschte Grimasse. Der Kerl ist total durchgeknallt, dachte sie. Gefährlich, sehr gefährlich.
    Er sah sie von unten her an. Jetzt lächelte er. Er warf ihr den Schlüssel quer durchs Zimmer zu. Sie fing ihn nicht auf, er landete auf dem Fußboden neben ihr.
    Er klemmte sich die Aktentasche unter den Arm.
    »Kann ich jetzt gehen? Ich hab zu tun.« Er hielt die Aktentasche hoch. »Darum bin ich hergekommen. Ich brauch sie für meine Arbeit.«
    Geh, geh bloß, dachte sie. Sie machte einen Schritt beiseite und stellte sich an die Wand.
    »Nett, Sie zu treffen«, sagte er und verbeugte sich. Er ging durch die Tür, und sie stand still da und hörte ihn etwas vor sich hin murmeln, während der Fahrstuhl quietschend heraufgefahren kam. Er stieg ein, der Fahrstuhl rasselte davon, und sie spürte ihren schweißnassen Rücken, Schweiß überall, zwischen den Brüsten, in den Leisten, an den Händen. Sie wusste, dass etwas Grauenhaftes sehr nah gewesen war. Sie wusste, dass sie nie mehr mit diesem Mann allein in einem Zimmer sein wollte.
    Plötzlich verstand sie die Frau, Anette Lindsten, während sie sie gleichzeitig noch weniger verstand als vorher. Sie verstand das Schweigen. Und die Flucht. Alles andere verstand sie

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