Segel aus Stein
Winter, würde die Nachricht überbringen, die den Fischer veranlasste, nach Hause zurückzukehren. Und wie würde das vonstatten gehen? Würde ihn ein Hubschrauber abholen? Oder würde er sofort Kurs auf Schottland und Moray Firth und die Hafeneinfahrt von Inverness nehmen? Durch den Kanal in die Stadt hineinfahren, River Ness, und weiter in den Loch Ness und nach Fort Augustus? Nein, nicht dieses Monster von Trawler, Und nein, denn sein Vater lag ja im Tiefkühlraum in Inverness und wartete. Der Sohn könnte im Hafen vor Anker gehen.
»Skarven« legte an und Winter ging an Land. Nach dem Fahrplan musste es 10.55 Uhr sein. Die Pier war leer. Einige ältere Trawler lagen am Kai, und Winter überlegte, ob einer von ihnen Axel Osvald gehört hatte. Oder ob es einen von ihnen sogar schon zu John Osvalds Zeit gegeben hatte.
John Osvald gab es und gab es doch wieder nicht. Er hatte die einzigartige Gestalt dessen angenommen, die Menschen, die verschwanden und nie wieder gefunden worden waren, annahmen, ihre Seelen finden keine Ruh und die Hinterbliebenen auch nicht.
Aber wenn er noch lebte? Wenn John Osvald noch am Leben war? Die es noch gab . die hier lebten . konnte man sie dann Hinterbliebene nennen? War Johanna Osvald eine Hinterbliebene?
Winter ließ sich von einer Frau vor dem Laden den Weg zur Schule erklären. Er ging eine schmale Straße ohne Fußweg entlang, er roch das Meer und lauschte der sonderbaren Stille, die durch viel Raum zu Allen Seiten geschaffen wurde. Hier drinnen ging kein Wind, als ob es ihn gar nicht gebe. Die Wolken waren verschwunden, der Himmel war total blau. Er spürte die Wärme im Gesicht.
Auf dem Schulhof waren viele Kinder, mehr als er geglaubt hätte. Er hörte Rufe, verstand aber keine einzelnen Wörter. Ein Fußball rollte ihm vor die Füße, und er kickte ihn zurück. Er flog über das Tor und den Zaun dahinter über den Schulhof und verschwand in einer Felsspalte.
»Oh, oh«, sagte ein Junge, der wie ein kleinwüchsiger Fischer aussah.
Die anderen Kinder schauten Winter an und dann zu den Klippen. Er begriff, verließ den Schulhof, ging drum herum und kletterte in die Felsen hinunter. Der Ball war nicht da. Er tastete im Gras und anderen seltsamen Gewächsen herum, vielleicht Tang. Rechts war ein Loch, wie eine Höhle. Er spähte hinein, konnte aber nichts entdecken. Er begann zu kriechen und spürte den Ball, bevor er ihn sah, und er robbte rückwärts. Sein Anzug krachte in den Nähten, protestierte. Winter richtete sich mit dem Ball in den Händen auf, eine Geste des Triumphs. Dort oben standen alle Kinder aufgereiht und klatschten Beifall. Winter warf den Ball hinauf, und der kleine Fischer nahm ihn an. Er und alle anderen drehten sich um, als eine weibliche Stimme ertönte:
»Was macht ihr hier? Es hat geklingelt, habt ihr das nicht gehört?«
Winter sah sie an den Felsrand kommen und hinunterschauen.
»Ja . hej.«
»Hej«, sagte Johanna Osvald und kicherte.
Winter musste lächeln, er wollte es nicht, nicht mit der Nachricht, die er zu überbringen hatte.
»Ist er es wirklich?«, sagte sie. Sie saßen in ihrem kleinen Arbeitszimmer. Auf dem Schreibtisch stand ein großer Mac, ein älteres Modell, grau. Überall Papiere, Ordner. Mehr Papiere als in Winters Büro. Durch das Fenster sah er die Klippen, zwischen denen er nach dem Ball gesucht hatte. Sie musste ihn auch gesehen haben oder die Kinder, die sich dort aufgereiht und den Idioten vom Festland da unten beobachtet hatten. Eine Unterbrechung in ihrem Leben auf der Insel.
An den Wänden beiderseits des Fensters hingen Kinderzeichnungen. Er überlegte kurz, wie das sein mochte, seine Tage mit Kindern zu verbringen, aber selber keine zu haben. Vielleicht war es eine Befreiung nach Hause zu kommen, eine Stille, die man hüten und halten musste.
Winter hatte es erzählt, sobald sie allein waren. Er hatte seine Worte vorsichtig gewählt.
»Es könnte ein Missverständnis sein«, sagte sie jetzt.
Er nickte, sagte jedoch nichts.
»Das glaubst du auch?«
»Ich weiß nichts, Johanna, nicht mehr als das, was ich dir erzählt habe. Aber mein Kollege in Inverness hat auch das Foto.«
»Ja, das hab ich wohl gehört. Aber ist es leicht, jemanden anhand eines Fotos zu identifizieren? Ein Foto mit . mit einem . einem To.« Sie brach ab und verbarg ihr Gesicht in den Händen.
Winter schaute auf seine eigenen Hände. Was soll ich mit ihnen machen? Soll ich sie in den Arm nehmen?
Er beugte sich vor und drückte ihren
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