Segel aus Stein
großer Bruder sah verlegen aus. Das ist ihre Sache, schien er zu denken. Er wird Fredrik immer ähnlicher, dachte Aneta Djanali. Ausholende Bewegungen, ein Blick, der nicht loslässt. Aber er ist ruhiger. Möge er so bleiben. Er sagt nie mehr, als nötig ist. Er zieht sich zurück in sein Zimmer. Er denkt an seine Mutter. Fredrik macht sich seinetwegen Sorgen.
»Haferbrei«, sagte Aneta Djanali.
»Hirsebrei«, sagte Halders.
»Was ist das?«, fragte Magda.
»Ein in Afrika übliches Getreide«, antwortete Aneta Djanali. »Eigentlich ist es ein Gras.«
»Aber du bist doch nicht in Afrika gewesen, oder?«, fragte Magda.
»Hör auf, Magda«, sagte Hannes.
»Ich bin dort gewesen«, sagte Aneta Djanali, »Aber ich bin hier geboren, das wisst ihr ja.«
»Habt ihr auch Hirsebrei gegessen?«, fragte Halders.
»Meine Mutter hasste Hirse«, sagte Aneta Djanali.
Halders häufte ihr mehr von dem weißen Kleister auf den Teller.
»Das war auch der Grund, warum meine Eltern aus Afrika weggezogen sind«, sagte Aneta Djanali.
»Ist das wahr?«, fragte Hannes.
»Nein«, antwortete Aneta Djanali und lächelte ihn an.
»Ich hab nur Spaß gemacht.«
»Warum sind sie dann weggezogen?«, fragte Magda.
»Sonst wären sie vermutlich ins Gefängnis gekommen.«
»Warum?«, fragte Magda. »Haben sie etwas getan?«
»Nein.«
Halders holte wieder die Teekanne. Sie saßen im Wohnzimmer, das anders aussah, seitdem Halders nach dem Tod seiner geschiedenen Frau hier eingezogen war. Keine große Veränderung, aber anders.
Die Kinder tobten in Hannes' Zimmer. Sie konnten ihr Geheul hören und Gepolter.
»Nun musstest du also aus der schweren Vergangenheit von Burkina Faso erzählen«, sagte Halders.
»Ist das ein Problem für dich?« »Im Gegenteil.«
Die Everly Brothers weinten sich Spur um Spur vorwärts auf dem Plattenspieler, ohne dass es zu sehen war. Crying in the rain. I never letyou see. Es fing wieder von vorn an, verratene Gefühle auf repeat. Bye bye love, bye bye happiness, hello loneliness, I think I'm gonna cry.
»Der Song ist genauso alt wie ich«, sagte Halders.
»1957.«
I'm through with romance, I'm through with love, I'm through with counting the stars above.
»Guter Text«, sagte Aneta Djanali.
»Ja, nicht?«
»Vielleicht ein bisschen zu definitiv.« »Mhm.«
»Das ist fast noch schlimmer als Roy Orbison«, sagte Aneta Djanali, »wenn es um das Maß der Traurigkeit geht.«
»Roy Orbison ist nicht traurig«, sagte Halders.
»Dann stellen wir uns unter Traurigkeit etwas Unterschiedliches vor«, sagte Aneta Djanali.
Halders antwortete nicht, trank von seinem Tee. Er hörte wieder zu. All I have to do is dream.
»Wenn man will, kann man alles Mögliche in Songtexte hineinlegen«, sagte er.
»Bei diesen Jungs gibt es aber nicht viele Alternativen«, sagte Aneta Djanali. »Es dreht sich doch wohl immer um eine Liebe, die beendet ist.«
»So sad to watch good love go bad«, sagte Halders.
»Ja . ungefähr so.«
»Das ist einer der besten Songs der Everlys«, sagte Halders.
»Siehst du, das ist ein gutes Beispiel.«
Sie fuhr spät nach Hause. Fredrik hatte sie gebeten zu bleiben, aber sie wollte bei sich zu Hause aufwachen. Manchmal war das so.
Fredrik war traurig gewesen, richtig traurig. Er hatte es nicht zeigen wollen, aber sie hatte es gesehen. Er hatte nicht in den Regen hinausgehen und weinen können, denn es regnete nicht.
»Ich mach mir Sorgen um Hannes«, hatte er gesagt. »Weiß der Teufel, wie das werden soll mit ihm.«
Aber es ging natürlich nicht nur um Hannes. Oder Magda. Oder nur Fredrik. Es ging um das, was alle wussten, dass nichts mehr wie früher werden würde. Keine Mama, später keine Großmutter, wenn sie selber erwachsen waren und eine Familie bekamen. Nur Großvater Fredrik. Vielleicht. Es konnte nie mehr werden, wie es einmal gewesen war, aber ... es konnte besser werden als jetzt.
Fredrik hatte nichts gesagt, nicht so richtig todernst. Aber sie wussten es beide. Sie musste nachdenken. Es war, als hätte sie nie Zeit, daran zu denken. An alles andere schaffte sie zu denken, aber nicht daran.
Ich muss nachdenken.
Mit Fredrik zu seinem geliebten Ouagadougou fahren. Nur das. Ihm eine Chance geben die Stadt zu sehen, die ihn so faszinierte. FC Ouagadougou. Herr im Himmel. Eine Woche in Burkina Faso, und dann werden wir ja sehen, wie tough du bist, Kriminalinspektor Halders.
Sie lachte leise vor sich hin.
Sie bog von der Allen in die Sprängkullsgatan ein. Menschen
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