Segel der Zeit
wollte gerade jetzt niemandem der drauÃen Wartenden ins Gesicht schauen.
AuÃerdem hatte er viel zu tun und wenig Zeit. Er fegte sein Schreibpult frei und warf Papiere und Stifte achtlos auf den FuÃboden. Dann setzte er sich und entwarf drei Mitteilungen.
Die erste lautete: Sag ihm, die Lage spitzt sich zu. Pläne für spektakuläre Demonstration beschleunigen. Morgen oder übermorgen. Nicht auf gutes Wetter warten.
Er faltete den Brief zusammen, kniete nieder und hob ein loses FuÃbodenbrett an. Darunter befand sich eine kleine Höhlung mit mehreren Messingröhren. Sie waren mit Kappen verschlossen und mündeten in einen blanken Metallzylinder der unter dem Haus verschwand. Shambles zog die Kappe einer Röhre ab, steckte den Brief hinein und schob eine Platte am Zylinder zurück. Ein Zischen war zu hören, dann verschwand die Botschaft in der geheimen Rohrpostanlage, die ein Jahr zuvor von der Widerstandsbewegung von Aerie eingebaut worden war.
Er hatte keine Ahnung, wo sich das andere Ende des Metallzylinders befand, aber er war ziemlich sicher, dass die Leute des Piloten nichts davon wussten. Sie unterstellten ihm zwar Verbindungen zur Unterwelt, was ja auch stimmte, und wahrscheinlich hatten sie ihn
aus diesem Grund all die Jahre über in Ruhe gelassen: Sie hatten auf einen Tag wie heute gewartet, an dem sie seine Hilfe brauchen konnten. Sehr weise, aber doch nicht weise genug, denn sie hatten sich nicht darum gekümmert, wem seine Loyalität tatsächlich gehörte.
Seine Kontaktpersonen würden die Nachricht innerhalb von wenigen Stunden erhalten. Dann würden Ereignisse in Gang gesetzt, die Slipstream zerreiÃen â oder auch stärken und damit Martin Shamblesâ mühevolle Arbeit zunichte machen konnten, wenn er den falschen Zeitpunkt gewählt hatte.
Diese beängstigende Aussicht machte seine zweite Botschaft noch wichtiger. Er verfasste sie nicht nur, weil er wegen des Betrugs an der reizenden jungen Antaea Argyre ein schlechtes Gewissen hatte. Er hatte in keiner Weise beabsichtigt, das Mädchen den Haien zum Fraà vorzuwerfen, aber er hatte es dennoch getan. Doch hier ging es um mehr als nur um sie. Das Ansehen Chaison Fannings würde die Entscheidung bringen, so oder so, nicht nur im Konflikt zwischen dem Piloten und seiner aufsässigen Flotte, sondern auch zwischen Slipstream und seinem unterjochten Vasallenstaat Aerie.
Ursprünglich hatte Martin geglaubt, Fanning sei für die Zerstörung von Aeries geheimer neuer Sonne verantwortlich gewesen. Er hatte den Mann für einen Feind der Vernunft und einen Feind des Volkes gehalten und ihn gehasst. Erst vor kurzem hatte er erfahren, dass Fanning sich an diesem Verbrechen nicht beteiligt hatte. Hayden Griffin hatte ihm eine ganz andere Geschichte über den Admiral erzählt, und wenn die stimmte, dann wäre Fanning womöglich einer von den wenigen Slipstreamern in einflussreicher Stellung, die bereit sein
könnten, Aerie zu helfen, seine Unabhängigkeit zu gewinnen.
Martins Stift verharrte immer noch über dem Papier. Er wusste nicht einmal genau, an wen er eigentlich schreiben sollte. Der Pilot würde Fanning bald in seiner Gewalt haben, und die Rebellen in der Admiralität würden bald von seiner Gefangennahme erfahren; dafür würde Martin schon sorgen. Die Widerstandsbewegung von Aerie in der Person von Shambles war bereits informiert.
Doch es gab noch eine vierte Partei in der Stadt. Martin nannte sie bei sich die Bankiers â zwielichtige Gestalten, darunter einige Einwanderer, die mit ihrem fremdländischen Akzent und ihrem scheuen Wesen überall in Rush Aufsehen erregt hatten. Sie waren unglaublich verschlossen und bildeten fest gefügte kleine Cliquen in Wohnblöcken überall auf den Habitaträdern der Stadt. Sie hatten ausgefallene â oder gar keine â Qualifikationen, aber alle waren sie einer zentralen Macht unterstellt, über die sie nicht sprechen wollten. Der Polizei des Piloten war es ganz und gar unmöglich gewesen, diesen Kreis des Schweigens zu brechen oder einen der Angehörigen eines Verbrechens zu überführen. Shambles wusste jedoch, dass dort die Quelle der rätselhaften neuen Währung zu suchen war, die derzeit die StraÃen überflutete.
An die zuständige Stelle, schrieb er. Wenn Sie diese Nachricht erhalten, wurde Chaison Fanning wahrscheinlich schon in Ketten in den Palast des Piloten
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