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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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sie musste sich je nach Lust und Laune ihres Besitzers in eine Lilie oder eine Orchidee verwandeln können. Selbst Erfahrungen und Erinnerungen hatten flexibel, auswechselbar gemacht zu werden. Die ganze Welt musste konsumierbar sein.
    Jetzt stand endgültig fest, dass die Frau, die Chaison mit der Technologie namens »Radar« vertraut gemacht hatte, niemals ein Mensch gewesen war. Aubri Mahallan war als heimatlose Reisende nach Slipstream gekommen, angeblich von der »Touristenstation« an Virgas Außenhaut. Venera hatte Interesse an ihr gefunden, und dieses Interesse hatte dazu geführt, dass seine Frau »entdeckte«, wo sich der Schlüssel zu Candesce befand. Im Rückblick betrachtet, musste Mahallan diese Entdeckung herbeigeführt haben. Aubri Mahallan war aufgetreten wie eine ganz normale Person – und wahrscheinlich hatte sie sich auch selbst dafür gehalten. Man musste jedoch annehmen, dass sie nie geboren worden und auch nie ein Kind gewesen war, stattdessen war ihre Persönlichkeit aus Bauteilen zusammengesetzt worden, die irgendwo in Wegas endlos rauschendem Datenstrom frei zugänglich waren. Das spielte kaum
eine Rolle, bis man begriff, dass die unbewussten Prozesse, von denen sie anstelle eines menschlichen Unterbewusstseins gesteuert wurde, Ziele verfolgten, die mit ihren bewussten Träumen und Hoffnungen nicht das Geringste zu tun hatten. Das Bewusstsein der falschen Telen Argyre hatte es Chaison überdeutlich gezeigt: Im Einflussbereich der Künstlichen Natur war ein menschliches Bewusstsein kaum mehr als eine Maske über etwas unbarmherzig Kaltem und Fremdem.
    Er hoffte nur, dass Aubri diese Wahrheit über sich selbst niemals hatte erfahren müssen.
    Diese wenigen Gedanken, für ein paar Sekunden aneinandergehängt, schienen Chaisons Welt zu stabilisieren. Er blinzelte und erkannte, dass er in einen Sitz geschnallt in einem Boot mit drei Triebwerken saß, zusammen mit Gonlin, Telen Argyre und einigen von Gonlins Schlägern – ehemaligen Mitgliedern des Heimatschutzes, wenn man Antaea glauben durfte. Sie kurvten zwischen Rushs riesigen rotierenden Zylindern hindurch, über die in diesem Moment die ersten Strahlen der Morgensonne huschten. Genau vor ihnen befand sich die Admiralität, und daneben der Palast des Piloten.
    War das, was da von Scheinwerfern angestrahlt vor der Admiralität schwebte, die Trennung ? Der Anblick schockierte ihn so sehr, dass die Welt schon wieder ihren Zusammenhalt verlor. Er vergaß, wo er war, Bilder von Jojos und Papierflugzeugen und von den Eisenstraßen, über die er als Kind gelaufen war, huschten zusammenhanglos durch sein Bewusstsein. Er sah andere Kinder mit ernsthaften Gesichtern, die ihn aus den schwerelosen Hütten neben dem Anwesen seiner
Eltern beobachteten, und hörte sich eine Frage stellen. Er wusste nicht mehr, worum es gegangen war, nur, dass er keine Antwort erhalten hatte.
    Â»Schneller!« Der Befehl durchschnitt sein Bewusstsein wie mit einem Messer, und die seltsamen Bilder zerfielen. Er saß wieder im Boot. Gonlin und seine Männer starrten an ihm vorbei – worauf? Mühsam drehte Chaison den Kopf.
    Er stieg von der bewaldeten Wölbung des Asteroiden Rush auf und schüttelte verächtlich ganze Bäume von seinen Schwingen. Das erste Licht von Slipstreams Sonne übergoss den Tiefenschwärmer mit goldenem Schein. Er schwebte kurz in der Luft, dann schien er zu explodieren.
    Â»Schneller!« Gonlins Stimme hatte einen Unterton von Panik. Chaison musste lachen. Dieser Mann hatte noch eine Menge zu verlieren. Er fand es komisch, auf der anderen Seite zu stehen, bereits alles verloren zu haben und nun zu erkennen, wie sinnlos und töricht die Angst seines Peinigers war.
    â€¦ Ein Gedanke, der ihn veranlasste, sich wieder umzudrehen und nach vorne zu schauen. Ja, sie näherten sich eindeutig dem Palast des Piloten. Wollte man ihn ausliefern, um die Belohnung zu kassieren? Warum war dann Telen Argyre hier bei Gonlin? Sie so offen zu zeigen bedeutete, den Tiefenschwärmer auf ihre Fährte zu setzen. Und dazu mussten sie schon sehr verzweifelt sein. Ihr kleines Versteck war wohl aufgeflogen.
    Er lachte wieder. »Dieses Ding wird Sie früher oder später auffressen«, sagte er zu Argyre. Sie antwortete nicht, aber Gonlin warf Chaison einen herablassenden Blick zu.

    Â»Wie sollte es denn, wenn die Männer des Piloten es zuerst töten?«,

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