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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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verließ er diesen Kurs. Chaison sah seine Abgasfackel hell aufleuchten, und schon war aus der kurzen Linie ein Punkt geworden. Sekunden vergingen. Der Kreuzer veränderte seine Form nicht mehr.
    Chaison sah sich um. Es war absurd, aber er zögerte – die Telegrafisten waren vollauf beschäftigt, die Pagen flogen ebenso zielbewusst auf ihren Engelsflügeln umher, und ein nicht abreißender Strom von Fotografen und anderen Kundschaftern sprang an den Eingängen der Zirkuskugel von den Bikes oder stieg auf. Endlich bekam man den Eindruck, ein Team vor sich zu haben.
    Â»Alle Schiffe auf Rückzugsposition!«, brüllte er, so laut er konnte. »Alle anderen – nach drinnen! Sofort! « Chaison sprang vom T-Eisen und riss einem verdutzten Telegrafisten die Flaggen aus den Händen. » Sofort! «
    Er hatte keine Zeit, sich umzudrehen, aber seine Fantasie leistete ihm bessere Dienste als seine Augen: Jetzt müssten um den sich vergrößernden Punkt in der Ferne Leuchtfackeln erscheinen. Jeder orangerote Stern würde nur ein paar Sekunden brennen, aber in dieser Zeit würden die Raketen Schallgeschwindigkeit erreichen. Sie müssten … ungefähr jetzt …
    Ein Flackern, nur aus dem Augenwinkel bemerkt, dann riss eine Explosion die Hälfte des Korbgeflechtbodens aus der Zirkuskugel.
    Eine Wand aus komprimierter Luft schleuderte Chaison in den Himmel.
    Â 
    Die Unterseite des reglosen Habitatrads war zur Wand geworden. Antaea blinzelte und schüttelte den Kopf, dann erkannte sie, dass sie mit mehr als einhundertfünfzig Stundenkilometern darauf zuraste. In wenigen Sekunden würde sie gegen das Gewirr aus Rohren, Verstrebungen und Spanndrähten prallen.
    Fluchend griff sie nach unten und löste die Halterungen ihrer Flügel. Die federbesetzten Schwingen entfalteten sich und klappten so heftig nach hinten, dass sie ihr fast die Schultern ausrenkten. Sie wurde sofort in Rotation versetzt – die Flügel waren so ausgelegt, um einen stabilen Federball für schnelle Bremsmanöver zu schaffen. Antaea breitete die Arme aus, um die Bewegung zu steuern.

    Etwas traf ihre Hüfte, und bevor sie reagieren konnte, war ihr Arm taub. Sie schlug sich mit dem eigenen Bizeps ins Gesicht. Ihre Füße stießen gegen etwas Festes, sie knickte ein, so gut sie konnte, und prellte sich nacheinander die Schulter, den Unterkiefer und das Ohr.
    Benommen hing sie eine Weile in der Luft und nahm nur undeutlich wahr, dass sie von gigantischen grauen Ästen und von Vogelschnäbeln umgeben war. Ein Wald und Vögel aus … Metall? Sie stöhnte, spuckte Blut und drehte vorsichtig den Kopf.
    Sie hatte sich in der Unterkonstruktion des Habitatrades verfangen. Bei den großen Metallrädern waren alle Leitungen unter Straßenniveau verlegt, und Rohre und Pumpstationen waren stromlinienförmig gestaltet, was auch die seltsamen Vogelköpfe erklärte: unter dem Rad waren tränenförmige Bunker aus Metall angebracht, von denen aus Arbeiten ausgeführt werden konnten.
    Donner zerriss die Luft. Antaea packte mit der rechten Hand – der linke Arm war immer noch taub – eine straff gespannte Trosse und zog sich an den Rohren vorbei. Der einstmals leere Luftraum, wo sie ihren Trupp postiert hatte, war jetzt durchsetzt von Rauchwolken, Schutt und den rasch erlöschenden roten Linien der Leuchtspurgeschosse. Im Zentrum von alledem befanden sich vier Schiffe: Eines driftete steuerlos dahin, auf einem zweiten wimmelte es von Männern, die sich bemühten, einen baumlangen Pfeil aus dem Rumpf zu ziehen, und die zwei letzten bliesen ihr ihre Abgase entgegen. Diese beiden steuerten geradewegs auf Chaisons Bunker zu und schossen dabei Raketen ab. Durch
die flimmernde Luft sah sie in der Ferne Explosionen aufleuchten.
    Der ewig nörgelnde vernünftige Teil ihres Bewusstseins – der nie den Mund halten konnte – erklärte ihr, es gäbe immer noch Mittel und Wege. Sollte sie Chaison Fanning verloren haben, dann müsste sie eben seine Männer ausfindig machen, Darius und Richard, um sich von ihnen zum Schlüssel führen zu lassen.
    Sie hasste sich selbst für solche Überlegungen.
    Sie schwang sich mit den Füßen und der rechten Hand wie ein Affe durch den Röhrenwald, bis sie zu einem eiförmigen Pumpenhaus kam. Es hatte eine kleine Klappe, die sich so schwer öffnen ließ, dass sie wahrscheinlich noch nie

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