Segeln im Sonnenwind
Wie sollten sie lauten?«
»Nicht so holterdiepolter, Faulpelz; du mußt schon selbst drauf kommen.« Er stand plötzlich auf, so daß ich von seinem Schoß rutschte und fast auf dem Hintern landete. Es war ein ständiger Wettkampf zwischen uns. Wenn ich schnell genug reagierte, landete ich auf den Füßen. Wenn nicht, war das ein Punkt für ihn.
»Analysiere die Zehn Gebote«, befahl er. »Erkläre mir, wie sie lauten sollten. Wenn ich bis dahin nur noch einmal höre, daß du die Beherrschung verloren hast, und deine Mutter dich zu mir schickt, um die Sache zu besprechen, solltest du dir vorher lieber dein McGuffey-Lesebuch unter die Pumphose stecken!«
»Vater, das würdest du nie tun!«
»Laß es nur drauf ankommen, mein Möhrchen, laß es nur drauf ankommen! Es wird mir eine Freude sein, dir den Po zu versohlen.«
Eine leere Drohung – er hat mir nie mehr den Po versohlt, nachdem ich alt genug geworden war, um zu begreifen, wofür ich gescholten wurde. Selbst vorher hatte er mich nie kräftig verhauen. Selten hatte mir der Hintern weh getan. Lediglich meine Gefühle waren stets verletzt worden.
Mutters Strafen waren da schon eine ganz andere Sache. Das hohe Recht war Vaters Domäne; Mutter kümmerte sich um das mittlere und niedere – und zwar mit einer Weidenrute. Aua!
Vater verdarb mich völlig.
Ich hatte vier Brüder und vier Schwestern – Edward, geboren 1876; Audrey '78; Agnes '80; Tom '81; '82 kam ich dazu; Frank wurde 1884 geboren, gefolgt von Beth '92, Lucille '94 und George 1897. Ich nahm mehr von Vaters Zeit in Anspruch als drei meiner Geschwister auf einmal – egal welche. Vielleicht sogar vier. Wenn ich heute zurückdenke, finde ich keinen Hinweis darauf, daß er mehr für mich dagewesen wäre als für eine meiner Schwestern oder einen meiner Brüder. Gewiß lag es schlicht und ergreifend daran, daß ich einfach mehr Zeit mit ihm verbrachte.
Zwei Erdgeschoßräume in unserem Haus beherbergten Vaters Praxis und Operationszimmer; ich verbrachte dort viel freie Zeit, weil ich so von seinen Büchern fasziniert war. Mutter fand nicht, daß ich sie lesen sollte, da medizinische Bücher voller Sachen waren, mit denen sich eine Dame einfach nicht zu beschäftigen hatte. Es sei unziemlich und nicht sehr damenhaft.
Vater sagte einmal zu ihr: »Mrs. Johnson, ich werde Maureen auf die wenigen Fehler hinweisen, die in diesen Büchern vorkommen. Was die weit zahlreicheren und viel wichtigeren Wahrheiten darin anbetrifft, freue ich mich, daß Mauren sie erlernen will. ›Und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.‹ Johannes, acht, Vers zweiunddreißig.«
Mutter schnitt ein grimmiges Gesicht und antwortete nicht. Für sie hatte die Bibel stets das letzte Wort, während Vater ein Freidenker war, eine Tatsache allerdings, die er selbst mir gegenüber bis zu jenem Zeitpunkt nicht eingestanden hatte. Trotzdem kannte er die Bibel gründlicher als Mutter und hatte immer einen Vers parat, um sie zu widerlegen. Eine äußerst unfaire Argumentationsweise, will mir scheinen, aber auch ein Vorteil, den er Mutter gegenüber einfach benötigte. Sie besaß einen starken Willen.
Sie waren in vielen Dingen unterschiedlicher Auffassung, hielten sich jedoch an feste Regeln, die ihnen ein Zusammenleben ohne Blutvergießen ermöglichten. Und nicht nur das Zusammenleben! Sie teilten auch das Bett miteinander und bekamen ein Kind nach dem anderen. Ein Wunder!
Ich denke, daß die meisten dieser Regeln von Vater stammten. Zur damaligen Zeit und an jenem Ort galt es als selbstverständlich, daß der Mann Herr im Haus war und die Familie ihm Gehorsam schuldete. Der geneigte Leser wird es vielleicht nicht glauben wollen, aber damals mußte eine Braut im Rahmen der Hochzeitszeremonie versprechen, ihrem Gatten zu gehorchen – für immer und in allen Dingen.
Soweit ich meine Mutter gekannt habe (und das habe ich eigentlich nicht), hielt sie dieses Versprechen nicht länger als dreißig Minuten.
Meine Eltern entwickelten jedoch praktische Kompromisse.
Mutter war Chefin im Haushalt. Vaters Domäne umfaßte die Praxis, die Scheune und die Nebengebäude sowie alle Angelegenheiten, die damit zu tun hatten. Er kümmerte sich auch um das Finanzielle. Jeden Monat gab er Mutter ein Haushaltsgeld, über das sie nach eigenem Gutdünken verfügte, aber er verlangte von ihr, über die Ausgaben Buch zu führen, und prüfte diese Buchführung jeden Monat.
Frühstück war um sieben, Mittagessen um zwölf,
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