Segeln im Sonnenwind
dessen Aufzucht wir geholfen hatten. Nicht, daß wir es nötig gehabt hätten, Schweine zu züchten; Vater erhielt Honorare häufiger in Form von geräuchertem Schinken oder Speckschwarten als in Form von Geld.
Wir alle gingen fischen, und die Jungs gingen auch auf die Jagd. Sobald jeder Junge alt genug war (also zehn, wenn ich mich recht entsinne), brachte Vater ihm das Schießen bei, zunächst mit einer .22er. Er brachte ihnen auch das Jagen bei, aber das erlebte ich selbst nicht mit. Wir Mädchen waren daran nicht beteiligt. Mir machte das nichts aus (ich wollte ohnehin nichts mit dem Häuten und Ausnehmen von niedlichen Hasen zu tun haben, die ihre übliche Beute darstellten), aber Schießen wollte ich unbedingt lernen… und beging den Fehler, das in Mutters Gegenwart zu erwähnen. Sie explodierte.
Vater sagte in aller Ruhe zu mir: »Wir sprechen später darüber.«
Und das taten wir. Als es sich etwa ein Jahr später eingebürgert hatte, daß ich Vater gelegentlich zu Patientenbesuchen aufs Land begleitete, nahm er, ohne daß Mutter etwas davon wußte, hinten im Einspänner unter Jutesäcken verborgen eine einschüssige .22er mit, und Maureen lernte zu schießen… und insbesondere, nicht erschossen zu werden, sowie überhaupt alle Regeln des sicheren Umgangs mit Schußwaffen. Vater war ein geduldiger Lehrer, der Perfektion forderte.
Wochen später sagte er: »Maureen, wenn du all das behältst, was ich dir beigebracht habe, kann das deine Lebenserwartung erheblich verlängern. Das hoffe ich wenigstens. Pistolen nehmen wir dieses Jahr nicht mehr in Angriff; deine Hände sind noch nicht groß genug.«
Uns Kindern stand die gesamte Umgebung des Hauses als Spielplatz zur Verfügung. Wir pflückten wildwachsende Brombeeren und gingen auf die Suche nach schwarzen Walnüssen, nach Papaufrüchten und Dattelpflaumen. Wir gingen auf Wanderungen und machten Picknicks. Als wir größer wurden und neue und wunderbare Sehnsüchte in uns erwachten, gingen wir auch draußen auf die Pirsch – »zündeln«, wie wir es nannten.
Unsere Familie unterließ es niemals, bestimmte Tage zu feiern – elf Geburtstage, den Hochzeitstag unserer Eltern, Weihnachten, Silvester und Neujahr, den Valentinstag, den Geburtstag George Washingtons, Ostern, den vierten Juli (eine Doppelfeier, da ich an diesem Tag auch Geburtstag habe) sowie den Admission Day am zehnten August. Am besten war das County-Volksfest – am »besten« deshalb, weil Vater bei den Wagenrennen mitfuhr (und seine Patienten davor warnte, in dieser Woche krank zu werden, oder ihnen empfahl, sich an seinen Vertreter Dr. Chadwick zu wenden). Wir saßen auf der Tribüne und jubelten, bis wir heiser wurden, obwohl Wetten auf Vater selten Geld brachten. Dann kamen Halloween und das Erntedankfest, was uns wieder zu Weihnachten führt.
Das ergab insgesamt einen ganzen Monat an besonderen Tagen, von denen jeder mit geräuschvoller Begeisterung begangen wurde.
Und es gab auch ganz normale Tage, an denen wir um den Eßtisch saßen und Walnüsse futterten, so schnell Vater und Edward sie knacken konnten, während Mutter oder Audrey laut aus Lederstrumpf oder Ivanhoe oder Dickens vorlasen. Oder wir machten Popcorn oder Popcornkugeln (wobei einfach alles klebrig wurde!) oder Konfekt, oder wir versammelten uns ums Klavier und sangen zu Mutters Spiel, und das war überhaupt am schönsten.
In manchen Wintern veranstalteten wir jeden Abend einen Buchstabierwettbewerb, weil Audrey so begeistert davon war. Sie spazierte mit McGuffeys Fibel unter einem Arm und Websters Amerikanischer Fibel unter dem anderen herum, bewegte dabei die Lippen und starrte ausdruckslos vor sich hin. Sie gewann die Familienduelle immer, und wir rechneten auch damit. Spannend ging es nur zwischen Edward und mir im Kampf um den zweiten Platz zu.
Audrey schaffte es. Sie machte in der sechsten Klasse den ersten Platz auf der Thebes Consolidated Grammar and High School. Im folgenden Jahr fuhr sie den ganzen Weg nach Joplin, um am regionalen Wettbewerb teilzunehmen – und diesen an einen widerwärtigen kleinen Jungen aus Rich Hill zu verlieren. Im ersten Semester auf der High School gewann sie jedoch den regionalen Wettkampf, ging nach Jefferson City und gewann die Goldmedaille in Orthographie als beste Teilnehmerin von Missouri. Mutter und Audrey fuhren gemeinsam zum Finale und zur Präsentation in die Staatshauptstadt – zunächst mit der Postkutsche nach Butler, dann mit dem Zug nach Kansas City, wo sie in den
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