Sehen Sie, so stirbt man also
München Medizin zu studieren begann, war er bereits einmal mit der Nazidiktatur in Konflikt geraten: Er hatte eine eigene Gruppe der verbotenen Deutschen Jungenschaft vom 1. 11. 1929 innerhalb seiner Abteilung der Hitlerjugend aufgebaut. Nach dem Abitur war Scholl deshalb vor Gericht gekommen; das Verfahren war jedoch wieder eingestellt worden. Der ohnehin kritische Student musste nun während des Studiums kurzzeitig an der Westfront als Sanitäter arbeiten. Hier lernte er aus erster Hand die Grausamkeit des Krieges kennen und fand zu einem eigenen Verständnis des christlichen Glaubens, das ihn bis zum Schluss begleiten sollte.
Zurück in München traf er bald auf Studenten, die wie er in Opposition zur Nazidiktatur und dem Wahnsinn des Krieges lebten, namentlich Alexander Schmorell und Christoph Probst. Diese stellten ihm Carl Muth vor, den Herausgeber einer inzwischen verbotenen kirchlichen Zeitschrift. Die so entstandene subversiv agierende Gruppe erfuhr vielleicht schon früher als andere Teile der Bevölkerung von den Gräueltaten der Nazis in den KZs und in Polen; sicherlich bereits Anfang 1942.
|97| Anfang Juli jenes Jahres stellten Hans Scholl und Alexander Schmorell die ersten Flugblätter her, die mit „Weiße Rose“ unterzeichnet waren und in München und anderen Städten verteilt wurden. Im Herbst musste Scholl wieder einen Sanitätseinsatz leisten, dieses Mal an der Ostfront in Russland. Als er zurückkehrte, war er überzeugter denn je von der Sinnlosigkeit des von Hitler begonnenen Krieges. Die Gruppe wuchs, u. a. um Psychologieprofessor Kurt Huber; Flugblätter wurden in Berlin, Köln, Stuttgart und Wien verteilt. Gleichzeitig wurde intensiv nach den Verfassern gefahndet, allerdings ohne Erfolg. Nach der Niederlage der Wehrmacht bei Stalingrad Anfang 1943 stellte die Weiße Rose wieder ein Flugblatt her, das in deutlichster Form zum Sturz Hitlers und zur Beendigung des Krieges aufrief. Es sollte das letzte sein.
Die Weiße Rose verteilte in der Nacht zum 18. Februar 1943 etwa 1000 Stück des Stalingrad-Flugblattes in München. Zu diesem Zeitpunkt waren die NSDAP-Funktionäre ohnehin äußerst beunruhigt, weil man befürchtete, dass die katastrophale Niederlage zu wachsendem Misstrauen in der Bevölkerung führen könnte – man war also vielleicht noch wachsamer als sonst. Am folgenden Morgen waren nur noch wenige der Zettel übrig, so dass Hans und Sophie Scholl beschlossen, sie in der Universität zu verteilen. Sophie warf die letzten Blätter von einem der oberen Stockwerke aus in den Lichthof des Foyers. Dabei wurden beide vom Hausmeister der Uni beobachtet, und dieser machte Meldung bei der Gestapo.
Sie wurden festgenommen und nur vier Tage darauf zusammen mit Christoph Probst vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Danach wurden die drei Studenten zur Vollstreckung des Todesurteils in das Gefängnis München-Stadelheim überführt, wo die Geschwister Scholl noch einmal ihre Eltern sehen durften. Christoph Probst durfte seine junge Frau nicht noch einmal sehen – und auch nicht sein Kind, das erst kurz vorher auf die Welt gekommen war. Noch am selben Tag wurde das Urteil vollstreckt und Hans Scholl wie auch seine Schwester und Probst hingerichtet. Die Meldung der Hinrichtung der Weiße Rose-Aktivisten wurde in ganz München plakatiert – zur Abschreckung etwaiger Nachahmer.
Die letzten Worte
Hans Scholls letzte Worte vor dem Tod durch das Fallbeil waren: „Es lebe die Freiheit!“ Zeugen der Hinrichtung waren der Leiter der Vollzugsabteilung des Landgerichts, Walter Roemer, Scharfrichter Johann Reichhart und Karl Alt, der evangelische Gefängnisgeistliche. An der Echtheit dieser Worte ist nicht zu zweifeln. Sie fassen gewissermaßen alles zusammen, wofür die Weiße Rose |98| gekämpft hat: „In einem Staat rücksichtsloser Knebelung jeder freien Meinungsäußerung sind wir aufgewachsen“ – so steht es im letzten Flugblatt, das Hans Scholl zum Verhängnis wurde. Was das für freiheitsliebende Studenten Mitte zwanzig bedeutet hat, mag man heute kaum mehr ermessen. Aber sein und der anderen Todesurteil bestätigt diesen Satz nur auf grausame Weise.
Der „König der Henker“ – Johann Reichhart
Der Scharfrichter, der Hans Scholls Todesurteil vollstreckte, war Johann Reichhart (1893–1972), der in der NS-Zeit als „König der Henker“ zweifelhaften Ruhm erlangte. Bereits viele seiner Vorfahren waren Scharfrichter gewesen. Er selbst jedoch wurde das wohl
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