Seherin von Kell
mit Naradas im Westen. Als sie zurückkehrte, waren die Lichter schon da. Einer der Priester in Hemil, er war ein richtiger Quatschkopf, pflegte zu sagen, daß es eine Art Pest ist.«
»War ein Quatschkopf? Ist er es nicht mehr?«
»Sie hat es erfahren und ihm das Herz herausschneiden lassen.«
»Das ist die Zandramas, wie wir sie kennen und lieben.«
Tante Pol kam den in den Schnee getrampelten Pfad herauf, dichtauf gefolgt von Ce'Nedra und Sammet. Sie versorgte wortlos die Wunden des Grolims, während Durnik und Toth zu dem Unterschlupf zurückkehrten, die Pferde herausführten und das Zelttuch einpackten. Als sie mit den Pferden bei den anderen ankamen, ging Sadi zu seinem Sattelbeutel und öffnete das rote Lederkästchen.
»Nur um sicherzugehen«, sagte er zu Garion, als er ein kleines Fläschchen herausnahm.
Garion zog eine Braue hoch.
»Es wird ihm nicht weh tun«, versicherte ihm der Eunuch, »nur ein bißchen umgänglicher machen. Außerdem, da Ihr offenbar gerade Eure mitleidige Phase habt, kann ich Euch beruhigen, daß es auch den Schmerz betäubt.«
»Es gefällt Euch nicht, daß wir ihn am Leben gelassen haben, oder sollte ich mich täuschen?«
»Ich halte es für unklug, Belgarion«, antwortete Sadi ernst. »Tote Feinde können einem nicht mehr schaden, ganz im Gegensatz zu lebenden. Aber es ist natürlich Eure Entscheidung.«
»Ich mache ein Zugeständnis«, entgegnete Garion. »Paßt auf ihn auf. Sollte er zur Gefahr werden, dann tut, was Ihr für nötig haltet.«
Sadi lächelte leicht. »Viel besser«, lobte er. »Ihr werdet doch noch zumindest die Anfangsgründe praktischer Politik lernen.«
Sie führten die Pferde den steilen Hang zum Karawanenweg hinauf und saßen dort auf. Der Sturm hatte den meisten Schnee aus den Furchen geweht, nur an geschützteren Stellen, wo der Weg um Baumgruppen und Felsvorsprünge bog, lagen hohe Wehen. Auf den freien Strecken kamen sie gut voran, die Wehen hielten sie jedoch auf. Und nun, da der Himmel klar war, schien die Sonne blendend auf den Neuschnee. Obgleich Garion die Augen fast ganz zusam-menkniff, bekam er Kopfschmerzen, die immer schlimmer wurden.
Silk zügelte sein Pferd. »Ich glaube, es ist Zeit für Vorsichtsmaßnahmen«, sagte er. Er zog einen leichten Schal aus seinem Umhang und band ihn um die Augen. Garion erinnerte sich an Relg und wie der höhlengeborene Zelot sich im Freien immer die Augen verbunden hatte.
»Eine Augenbinde?« fragte Sadi. »Seid Ihr plötzlich zum Seher geworden, Fürst Kheldar?«
»Ich bin nicht vom Schlag, der Visionen bekommt, Sadi«, antwortete Silk. »Der Schal ist dünn genug, daß ich hindurchsehen kann.
Ich will nur meine Augen vor dem blendenden Sonnenschein auf dem Schnee schützen.«
»Ja, er ist wirklich sehr hell, nicht wahr?« bestätigte Sadi.
»Allerdings, und wenn man zu lange darauf starrt, kann man blind werden, zumindest zeitweilig.« Silk zupfte den Schal vor seinen Augen zurecht. »Das ist ein Trick, der den Renhirten im nördlichen Drasnien eingefallen ist. Es hilft wirklich.«
»Dann wollen wir keine Risiken eingehen«, meinte Belgarath und verband sich die Augen ebenfalls. Er lächelte. »Vielleicht haben die dalasischen Hexer die Grolims auf diese Weise geblendet, als sie nach Kell wollten.«
»Eine schreckliche Enttäuschung, wenn es wirklich so einfach gewesen wäre«, sagte Sammet und band sich ein dünnes Tuch um die Augen. »Für mich muß Magie unerklärlich sein. Schneeblindheit wäre so prosaisch.«
Sie pflügten weiter durch den tiefen Schnee und näherten sich einem hohen Paß zwischen zwei turmgleichen Gipfeln. Am Nachmittag erreichten sie ihn. Der Weg wand sich zwischen gewaltigen Felsblöcken hindurch, verlief jedoch an seiner höchsten Stelle gerade. Dort gönnten sie den Pferden Rast und blickten über die gewaltige Wildnis jenseits des Passes.
Toth nahm die Augenbinde ab und winkte Durnik zu sich. Auch der Schmied löste die schützende Augenbinde, und der Stumme deutete. Ehrfurcht war in Durniks Miene. »Seht doch!« flüsterte er durch die zusammengeschnürte Kehle.
Da befreiten auch die anderen die Augen.
»Belar!« keuchte Silk. »Nichts kann so groß sein!«
Die Gipfel rundum, die gewaltig geschienen hatten, schrumpften zur Bedeutungslosigkeit. Ganz allein, in einsamer Pracht, erhob sich ein Berg so gigantisch, daß der Verstand dem Auge nicht glauben wollte. Er war völlig symmetrisch, ein weißer Kegel mit steilen Hängen. Seine Grundfläche war riesig, und
Weitere Kostenlose Bücher