Seherin von Kell
für die Seele.«
»Vielleicht.«
Es war Abend, als sie das Lager der Schäfer erreichten. Da ein Schaflager mehr oder minder ständig benutzt wird, ist es gewöhnlich besser als die schnell aufgebauten Lager von Reisenden. Die Zelte waren größer und standen zu beiden Seiten einer Straße aus dicht gefügten Baumstämmen. Die Koppeln für die Pferde der Schä-
fer befanden sich am unteren Straßenende, und Stämme dämmten einen Bergbach, so daß ein klarer Teich entstand, der Wasser für Schafe und Pferde bot. Die Abendschatten fielen bereits über das kleine Tal, in dem sich dieses Lager befand, und blaue Rauchfahnen stiegen in der unbewegten Luft kerzengerade von den Kochfeuern auf.
Ein großer, hagerer Mann mit tief sonnengebräuntem Gesicht und schneeweißem Haar, der einen weißen Kittel trug – offenbar die hier übliche Kleidung der Schafhirten –, trat aus einem Zelt, als Garion und Zakath vor dem Lager ihre Pferde zügelten. »Euer Kommen wurde uns angekündigt«, sagte er. Seine Stimme war sehr tief und ruhig. »Gebt ihr uns die Ehre, mit uns zu Abend zu essen?« Garion blickte ihn näher an, und ihm fiel seine Ähnlichkeit mit Vard auf, dem Mann, den sie auf der Insel Verkat, die halbe Welt entfernt, kennengelernt hatten. Es konnte jetzt keinen Zweifel mehr geben, daß die Dalaser und die Sklavenrasse in Cthol Murgos verwandt waren.
»Wir fühlen uns geehrt«, erwiderte Zakath auf die Einladung,
»aber wir möchten Euch keine Umstände machen.«
»Das tut ihr keineswegs. Ich bin Burk. Ich werde ein paar meiner Männer schicken, damit sie sich eurer Pferde annehmen.«
Die anderen holten auf und hielten an.
»Seid alle willkommen«, begrüßte Burk sie. »Bitte sitzt ab, das Abendmahl ist fast fertig, und wir haben ein Zelt für euch bereitge-stellt.« Er blickte ernst auf die Wölfin und neigte den Kopf vor ihr.
Es war offensichtlich, daß ihn ihre Anwesenheit nicht beunruhigte.
»Wir wissen Eure Höflichkeit zu schätzen«, versicherte ihm Polgara, als sie absaß, »und Eure Gastfreundschaft ist sehr unerwartet so fern der Zivilisation.«
»Der Mensch trägt seine Zivilisation mit sich, Lady«, entgegnete Burk.
»Wir haben einen Verwundeten bei uns«, erklärte ihm Sadi. »Ein bedauernswerter Reisender, dem wir auf dem Weg über den Berg begegneten. Wir halfen ihm, soweit wir konnten, aber wir sind in Eile, und ich fürchte, unser Tempo verschlimmert seinen Zustand.«
»Ihr dürft ihn bei uns lassen. Wir kümmern uns um ihn.« Burk betrachtete den betäubten Priester, der zusammengesunken im Sattel saß. »Ein Grolim«, bemerkte er. »Wollt ihr etwa nach Kell?«
»Wir müssen dort einen kurzen Halt machen«, entgegnete Belgarath vorsichtig.
»Dann würde euch dieser Grolim ohnedies nicht begleiten können.«
»Davon haben wir gehört«, sagte Silk, der sich von seinem Pferd schwang. »Werden sie wirklich blind, wenn sie versuchen, Kell zu betreten?«
»Nun ja. Wir haben momentan so einen im Lager bei uns. Wir sahen ihn im Wald umherirren, als wir die Schafe zur Sommer weide brachten.«
Belgaraths Augen zogen sich leicht zusammen. »Wäre es möglich, daß ich mit ihm spreche?« fragte er. »Ich habe dergleichen studiert und bin stets erpicht, mehr darüber zu erfahren.«
»Selbstverständlich«, sagte Burk. »Er ist im letzten Zelt auf der rechten Seite.«
»Garion, Pol, - kommt mit«, sagte der Alte angespannt und stapfte die Holzstraße hinauf. Eigenartigerweise begleitete die Wölfin sie.
»Wieso die plötzliche Neugier, Vater?« fragte Polgara, als sie au-
ßer Hörweite waren.
»Ich möchte herausfinden, wie wirkungsvoll dieser Fluch genau ist, den die Dalaser um Kell gelegt haben. Wenn er irgendwie überwunden werden kann, wäre es möglich, daß wir dort doch auf Zandramas stoßen.«
Sie fanden den Grolim auf dem Boden in seinem Zelt sitzend vor.
Die harte Eckigkeit seines Gesichts hatte einen weichen Zug angenommen, und seine blicklosen Augen hatten den brennenden Fana-tismus verloren, der allen Grolims eigen war. Statt dessen sprach gelöstes Staunen aus seinem Gesicht.
»Wie geht es Euch, Freund?« fragte ihn Belgarath sanft.
»Ich bin zufrieden«, antwortete der Grolim. Diese Worte klangen seltsam aus dem Mund eines Torakpriesters.
»Wieso habt Ihr versucht, Euch Kell zu nähern. Habt Ihr denn nicht von dem Fluch gewußt?«
»Es ist kein Fluch. Es ist ein Segen.«
»Ein Segen?«
»Die Zauberin Zandramas hatte mir befohlen, zu versuchen, in die heilige Stadt
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