Seherin von Kell
gutmütiger kleiner Junge. Er sprach in halben Sätzen, und sein Gesichtchen wirkte ernst, wenn er seinem Vater etwas zu erklären versuchte.
Aufgeregt deutete er auf Rehe und Hasen, während sie südwärts ritten, und hin und wieder nickte er ein und schmiegte des blonde Lockenköpfchen glücklich an die Brust seines Vaters. Eines Vormittags jedoch wurde er quengelig, und ohne zu überlegen, nahm Garion das Auge vom Schwertgriff und gab es ihm zum Spielen. Geran jauchzte erfreut, nahm den leuchtenden Stein in beide Händchen und blickte fasziniert in seine Tiefen. Hin und wieder hob er ihn ans Ohr, um seinem Lied zu lauschen. Das Auge war offenbar sogar noch glücklicher als der kleine Junge.
»Das solltest du wirklich nicht tun, Garion!« rügte ihn Beldin. »Du hast das mächtigste Ding des Universums zum Kinderspielzeug gemacht!«
»Er gehört ja schließlich ihm – oder wird ihm zumindest gehören.
Da sollten sie einander doch endlich kennenlernen, findest du nicht?«
»Und was ist, wenn er ihn verliert?«
»Beldin! Glaubst du wirklich, daß das Auge sich verlieren läßt?«
Das Spiel kam jedoch zu einem abrupten Ende, als Poledra ihr Pferd neben den Kaiser des Westens lenkte.
»Er ist dafür noch zu jung, Garion«, tadelte sie. Sie streckte den Arm aus, und ein eigenartig verdrehter knorriger Stock erschien in ihrer Hand. »Steck das Auge wieder ans Schwert, Garion«, wies sie ihn an, »und gib ihm dafür das zum Spielen.«
»Das ist der Stock mit nur einem Ende, nicht wahr?« sagte er miß-
trauisch, als er sich an das Spielzeug erinnerte, das Belgarath ihm einmal in dem Wirrwarr im Turm gezeigt hatte – es war der Stecken, mit dem Tante Pol sich als Kleinkind beschäftigt hatte.
Poledra nickte. »Das wird ihm die Zeit vertreiben.«
Geran gab das Auge gern für das neue Spielzeug her. Das Auge dagegen jammerte Garion mehrere Stunden lang die Ohren voll.
Sie erreichten das Häuschen etwa einen Tag später. Von dem Hü-
gel davor blickte Poledra etwas argwöhnisch ins Tal hinunter. »Du hast einige Veränderungen vorgenommen, wie ich sehe«, wandte sie sich an ihre Tochter.
»Macht es dir etwas aus, Mutter?« fragte Tante Pol.
»Natürlich nicht, Polgara. Ein Haus sollte das Wesen seines Besitzers widerspiegeln.«
»Ich bin sicher, daß es unheimlich viel zu tun gibt«, sagte Durnik.
»Wenn ich mich nicht um die Zäune kümmere, haben wir bald Hunderte von algarischen Kühen im Garten.«
»Und ein gründlicher Hausputz ist auch fällig«, warf seine Frau ein.
Sie ritten den Hang hinunter, saßen ab und gingen ins Haus. »Unglaublich!« rief Polgara und blickte entsetzt auf die Staubschicht, die alles überzogen hatte. »Wir brauchen ein paar Besen, Durnik.«
»Natürlich, Liebes«, pflichtete er ihr bei.
Belgarath durchstöberte die Speisekammer.
»Nein, Vater, das muß warten«, rief Polgara ihn zurück. »Erst geht ihr – du, Ohm Beldin und Garion – hinaus in meinen Küchengarten und jätet gründlich.«
»Was?« fragte er kopfschüttelnd.
»Ich will morgen säen«, erklärte sie ihm. »Du mußt auch umste-chen!«
Garion, Beldin und Belgarath stapften mit hängenden Köpfen hinaus zu Tante Pols Küchengarten, der groß genug aussah, um eine kleine Armee mit frischem Gemüse und Kräutern zu versorgen.
Beldin hackte ein paarmal lustlos mit der Haue. »Das ist ja lächerlich!« platzte er schließlich hinaus. Er warf die Haue von sich und deutete mit dem Zeigefinger auf den Boden, und während er den Finger bewegte, zog sich eine frisch umgestochene Furche der Länge nach durch den Garten.
»Tante Pol wird böse sein!« warnte Garion den Buckeligen.
»Nur, wenn sie uns erwischt«, knurrte Beldin. Er blickte zum Haus, wo Polgara, Poledra und die rivanische Königin eifrig Besen und Staubtücher schwangen. »Jetzt bist du dran, Belgarath. Aber gib dir ein wenig Mühe, die Reihen gerade anzulegen.«
»Versuchen wir mal, ob wir Pol nicht ein bißchen Bier entlocken können, bevor wir mit dem Harken beginnen«, schlug Beldin vor, als sie mit dem Umstechen fertig waren. »Die Arbeit heizt einem ganz schön ein – auch wenn man sie sich leichter macht.«
Zufällig war auch Durnik kurz zum Haus zurückgekehrt, um sich zu erfrischen, ehe er mit dem Zaun weitermachte. Die Damen kehrten immer noch aus. Garion bemerkte belustigt, daß der Staub sich hartnäckig wieder dort niederließ, wo sie ihn weggefegt hatten. Das hatte Staub eben so an sich.
»Wo ist Geran?« rief Ce'Nedra
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