Sehnsucht
nachzudenken, hob Sam eine Hand und ließ seine Finger über Bos Kiefer streichen. Bos Lider flatterten. Er lehnte sich der Berührung entgegen und ein sanftes Seufzen entwich seinen leicht geöffneten Lippen. Eine schwindelerregende Sekunde lang dachte er, Bo würde ihn küssen.
Dann erklangen Stimmen im Gang, die nach Bo und Sam riefen. Das Getrappel von Füßen wurde immer lauter und schlagartig war der Zauber gebrochen. Bo richtete sich auf und schüttelte Sams Hand ab. »Hier sind wir!«, rief er.
David und Cecile stürmten in den Raum.
»Was ist los?«, fragte David keuchend. »Wir haben dich um Hilfe schreien gehört. Wieso hast du uns nicht angefunkt?«
»Hab ich versucht«, sagte Bo. »Es hat nicht funktioniert.«
Cecile kam bereits in ihre Richtung.
»Oh mein Gott, Sam ist verletzt!«, rief sie.
»Nein, ich bin okay«, versicherte Sam, obwohl seine Stimme immer noch brüchig genug klang, dass sie ihn zweifelnd ansah.
»Was ist hier passiert?«, fragte David, der mit verschränkten Beinen neben Bo auf dem Boden saß.
Mit einer Mischung aus Besorgnis und Verlegenheit sah Bo Sam an. »Ich weiß nicht genau. Es ging alles so schnell.«
Sam, dessen Kräfte teilweise zurückgekehrt waren, löste sich aus Bos Umarmung und setzte sich auf. Cecile legte einen Arm um seine Schulter und er schenkte ihr ein dankbares Lächeln.
»Es war das, was ich schon mal gespürt habe«, sagte Sam. »Nur etwa tausend Mal schlimmer. Es war, als wäre etwas in meinem Kopf und versuchte, herauszukommen. Als würde es mich benutzen wollen, um sich irgendwie zu manifestieren. Ich konnte nicht atmen. Die Temperatur ist von einer Sekunde auf die andere gefallen. Ich bin nicht sicher, um wie viel. Es war eiskalt und der Raum sah so dunkel und vernebelt aus.«
Sam schüttelte den Kopf.
»Ich hab in meinem Leben noch nie so viel Angst gehabt.«
Ceciles scharfer Blick hielt seinen. »Angst wovor? Dass es dir Schaden zufügen könnte?«
»Nein«, antwortete Sam langsam, der erst jetzt erkannte, wovor er sich wirklich gefürchtet hatte. »Ich hatte Angst davor, dass es ausbrechen könnte.«
Drei Augenpaare starrten ihn an, als wäre er ein besonders interessantes wissenschaftliches Objekt. Sie denken nur über das nach, was du gesagt hast. Sie sind nicht wie andere Leute. Sie denken nicht, dass du verrückt bist.
Er war sich nicht ganz sicher, ob er das auch wirklich glaubte, aber er hielt trotzdem hartnäckig daran fest. Wenn ihm diese Menschen nicht glaubten, dann würde es nie jemand tun und der Gedanke war zu deprimierend, um ihn ertragen zu können.
»Hey, Bo«, sagte David, der Sams Unbehagen anscheinend nicht bemerkte. »Meinst du, du hast es auf Band?«
Er hob die Videokamera auf, die Bo hatte fallen lassen, als Sam zusammengebrochen war. »Das Ding läuft immer noch.«
Bo blinzelte. »Vielleicht. Verdammt, ich hab die Kamera total vergessen.«
»Wir waren gerade fertig mit dem Erdgeschoss«, sagte Cecile. »Seid ihr hier fertig? Wir können die Videos mit nach unten nehmen und nachsehen, was drauf ist.«
Mit weit aufgerissenen Augen starrte Bo Sam an. Seine Gedanken waren ihm beinahe ins Gesicht geschrieben, sodass Sam sie nur noch abzulesen brauchte: Bo wollte nicht, dass jemand sah, wie Sam ihn nur Sekunden zuvor berührt hatte oder wie er darauf reagiert hatte.
»Gute Idee«, sagte Sam, bevor Bo Einwände erheben konnte.
Bos Augen funkelten vor Wut und Frustration, aber er widersprach nicht. Die Ermittlung hatte Vorrang vor allem Anderen und das wussten sie beide.
Sam unterdrückte ein selbstgefälliges Lächeln. Er hatte sich darauf verlassen, dass Bos Professionalität seine Angst, geoutet zu werden, übersteigen würde.
Unterstützt von David rappelte Sam sich auf. Einen Augenblick lang stand er einfach nur da, um einzuschätzen, wie sicher er auf den Beinen war. Ihm war noch ein wenig schwindelig, aber ansonsten fühlte er sich schon wieder ganz gut.
Das Team eilte ins Untergeschoss, wobei Cecile ihm nicht von der Seite wich. In der Bibliothek angekommen, versammelten sich die vier um den Tisch herum.
»Wo sind Amy und Andre?« Bo zog nervös am Ende seines Zopfes, sein Blick wanderte unruhig durch den Raum. »Sind sie immer noch draußen?«
»Schätze schon.« David schloss die Kamera an den Monitor an und begann das Band zurückzuspulen. »Sie sind gerade vor einer halben Stunde mit den Innenräumen fertig geworden. Vermutlich sind sie noch nicht mit den Außengebäuden durch.«
»Wir können
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