Sehnsucht der Unschuldigen
nervenaufreibende Jagd fort, aber heute deckte Innocence ein Flaggenmeer in den Nationalfarben Blau, Weiß und Rot über die Mordserie.
Nach dem Umzug standen mehrere Wettkämpfe auf dem Programm: Tortenessen, Scheibenschießen, Eierklopfen und – jedes Jahr einer der Höhepunkte – Weitspucken mit Melonenkernen.
Stumm vor Verblüffung sah Caroline zu, wie die Sieben- bis Vierzehnjährigen unter den Anfeuerungsrufen der Menge den Kopf in Blaubeertörtchen steckten und um die Wette kauten, schmatzten, schluckten. Törtchen um Törtchen verschwand in den Schlunden. Sobald ein Kuchenblech leer war, wurde schon das nächste unter das lila verschmierte Gesicht geschoben.
Einzige Regel war: Die Hände durften nicht benutzt werden.
Nach und nach streckten die jungen Wettstreiter ihre Waffen und ließen sich ins Gras plumpsen. Ratschläge wurden ihnen sogleich erteilt, doch sie stöhnten nur.
»Schaut euch Cy an!« Caroline rieb sich unwillkürlich den Bauch. »Der ist ja inzwischen beim zwölften angelangt!«
»Neuneinhalb hat er erst geschafft«, verbesserte sie Tucker.
»Aber er führt. Hopp, hopp, Cy! Einfach runter damit! Nicht kauen!«
»Wie soll er denn da Luft holen?« murmelte Caroline, während Cy das Gesicht im zehnten Törtchen vergrub. »Ihm wird ja noch schlecht!«
»Klar wird ihm schlecht. Aber das gehört dazu. Schau nur, was für eine tolle Technik er hat! Er steckt nicht einfach den Kopf rein, sondern er ißt sich systematisch von außen nach innen durch.«
Caroline begriff nicht, wie Tucker das erkannt haben wollte.
Sie sah nur einen Jungen, dessen Kopf bis zum Hals in Blaubeertörtchen vergraben war und hörte die Menge stampfen und schreien. Ein absolut lächerliches und würdeloses Spektakel, sagte sie sich, aber sie ließ sich von der Begeisterung der Leute anstecken. Ehe sie es merkte, feuerte sie ihn schon mit an.
»Weiter so, Cy! Schluck’s im Ganzen runter! Sieh nur, jetzt ist er beim zwölften! O Gott, er hat es ausgespuckt!… Was ist, Tucker?«
Tucker küßte Caroline auf den Mund, während Cy, der trotz der lila Kleckser etwas grün im Gesicht war, zum Sieger erklärt wurde. »Ich bin verrückt nach dir, Caro.«
»Sehr schön. Aber laß mich jetzt bitte dem Sieger das Gesicht abwischen.«
»Das laß mal lieber seine neue Freundin machen. Hast du nicht die verliebten Blicke bemerkt, die er und Lee Anne austauschen? Komm, schauen wir uns das Wettschießen an!«
Der Parkplatz vor der Lutheranischen Kirche war für die Scheibenschützen geräumt worden. Die Vorrunden waren inzwischen abgeschlossen, und frustrierte Verlierer standen im Abseits.
»Josie und Dwayne machen ja auch mit!« rief Caroline.
»Uns wurde das Schießen sehr früh beigebracht. Das war dem guten Beau ein Hauptanliegen.«
»Und du?«
Tucker zuckte mit den Schultern. »Ich habe mich nie nach dem Schießen gedrängt. Schau, da geht Susie an den Stand.
Mann, hat die eine ruhige Hand. Ein Glück nur, daß sie einen Polizisten geheiratet hat. Jede Gangsterbande würde sich um sie reißen.«
Tante Lulu kam auf den Platz gestiefelt. An ihren knochigen Hüften baumelte je ein Lederholster mit einem Colt darin.
Caroline fuhr sich entsetzt mit der Hand an den Mund. »O Gott, Tante Lulu! Sollte man sie nicht lieber daran…« Wie zur Antwort zog die alte Frau und feuerte. Drei Flaschen explodierten praktisch gleichzeitig. Tante Lulu wirbelte die Colts dreimal um die Finger und steckte sie wieder ein.
»Sie kann so ziemlich jede Waffe zwischen einer 22er und einer AK-47 bedienen«, kommentierte Tucker. »Aber einen Apfel würde ich mir nicht mehr auf den Kopf legen. Sie ist nicht mehr die Jüngste.«
Das Schießen endete mit Susie als Siegerin und einem fürchterlich verärgerten Will Shiver auf dem zweiten Platz. Die Menge strömte zum nächsten Ereignis, dem Wettrennen.
»Sag mal, Tucker. Du bist doch so schnell, warum läufst du da nicht mit?«
»Rennen soll ich? Darling, wenn ich ohne großen Aufwand auch so von einem Punkt zum anderen komme, dann brauche ich doch keinen Schweiß zu vergießen.«
Sie lächelte. »Natürlich. Wie konnte ich nur fragen. Nimmst du denn an überhaupt keinem Wettkampf teil?«
»Doch, einen gibt es schon.«
»Was für einen denn?«
»Wart’s nur ab.«
»Mit Fett eingeriebene Schweine?« Caroline hatte schon gedacht, nichts könne sie mehr überraschen, doch als sie die für den Tag in einen Schweinepferch verwandelte Wiese hinter dem Markt sah, mußte sie sich eines Besseren
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