Sehnsucht FC Bayern
Klassenkameraden unbemerkt das Museum verlassen und sich ein paar nette Stunden in der Innenstadt gemacht hatten. Nach nochmaliger Entrichtung des Eintrittsgeldes stießen sie danach wieder zu uns. Was für eine bravouröse Idee! Doch diese Dreistigkeit hatte ich als 13-Jähriger noch nicht. Später sollte das noch anders werden.
Die Saison endete mit einem emotionalen Auf und Ab. In Frankfurt kam es am 1. Mai zum bis heute wohl denkwürdigsten Endspiel um den DFB-Pokal zwischen dem FC Bayern und dem 1. FC Nürnberg. Klassenkamerad Joachim, der übrigens deshalb FCN-Fan war, weil er seinem in Nürnberg studierten und vom Club schwärmerisch erzählenden Vater nacheiferte, wurde von meinen Eltern zum Fernsehnachmittag eingeladen. Die erste Halbzeit stellte dann aber meine ursprüngliche angedachte Rollenverteilung erst einmal auf den Kopf, denn der krasse Außenseiter führte zur Pause überraschend und verdient mit 2:0. Joachim flippte im fremdem Wohnzimmer derart aus, dass sich meine Eltern bereits pikiert anschauten, während ich immer kleiner wurde. Dieter Hoeneß mit blutdurchtränktem Kopfverband und Bertram Beierlorzer mit Achillessehnenriss. Wer erinnert sich nicht? Bekanntermaßen wendete sich das Blatt in der zweiten Halbzeit, und Bayern gewann mit 2:4. Joachim stand nach dem Schlusspfiff augenblicklich auf, verabschiedete sich noch mannhaft bei meinen Eltern, um dann aber (wie er mir später gestand) auf dem Nachhauseweg heftig zu weinen. Er tat mir leid. Seine ungezügelte Freude zur Halbzeit, die nach 90 Minuten in derart kontrollierte Trauer überging, nötigte mir als Gleichaltrigem Respekt ab.
Etwa drei Wochen später befand ich mich in gleicher Situation wie er. Meine Eltern hatten sich zu einer mehrtägigen Reise entschlossen und wagten das Experiment, mich in dieser Zeit alleine zu Hause zu lassen. Und so verfolgte ich das Endspiel um den Europapokal der Landesmeister gegen Aston Villa allein vor dem Fernseher. Eine weise Entscheidung, denn diesmal war ich es, der fassungslos mit ansehen musste, wie der eigenen Mannschaft trotz überlegenem Spiel der Torerfolg versagt blieb. In Rotterdam verloren wir 1:0 durch Peter White in der 67. Minute. Ich weiß es noch wie heute. Meine Reaktion? Die gleiche wie bei Joachim wenige Tage zuvor. Sie fiel nur enthemmter aus, weil ich mich in den eigenen vier Wänden befand. Es wurde eine unruhige Nacht. Ich schlief schlecht bis gar nicht. Und wenn ich bereits als 14-Jähriger die, zumindest in dieser Hinsicht, nutzbringende Wirkung von Alkohol gekannt hätte, wäre es zum ersten Rausch meines Lebens gekommen.
Für mich war es Teil eins eines Traumas vom verlorenen Europacup-Endspiel. Erst Folge vier sollte 19 Jahre später die Erlösung bringen.
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
1982/83
D AS ERSTE H EIMSPIEL
Nun war es ja beileibe nicht so, dass ich vom FC Bayern gar nichts mitbekam. Der Kölner Stadt-Anzeiger erbarmte sich durchaus, ab und zu eine Neuigkeit als Kurznachricht zu vermelden. Das war schon wesentlich mehr, als Joachim über seinen 1. FC Nürnberg mitbekam. Mir war das trotzdem zu wenig. Was wäre, wenn Breitner sich im Training schwer verletzen oder ein neuer Transfer getätigt würde? Sollte ich dann tagelang ahnungslos bleiben? Die Warterei auf die Reportagen am Wochenende aus den Bundesligastadien glich einer mehrtägigen Nachrichtensperre, die erst durch das »Informations-Quartett« WDR-Radioübertragung, ARD-Sportschau, ZDF-Sportstudio und Bild am Sonntag wie ein Ritus unterbrochen wurde. Ich versuchte weitere Quellen anzuzapfen. Der kicker war mir nun wirklich zu teuer. Wenn ich ihn mir ausnahmsweise doch mal gönnte, weil ich mich durch eine fette Schlagzeile über den FCB verlocken ließ, dann war ich über die viel zu kurzen Artikel heftigst enttäuscht. Joachims Vater hatte den kicker im Abonnement. Das musste das Paradies sein. Jedenfalls so ungefähr. Ihn jedoch um ein Ausleihen oder die Weitergabe alter Exemplare zu bitten, kam für mich auch nicht in Betracht. Von Besuchen dort wusste ich nämlich, dass der kicker von Vater und Sohn auch auf dem Klo gelesen wurde. Man mag mich für versnobt halten. Alles hat irgendwo seine Grenzen. Auch für einen 14-Jährigen.
Was blieb mir noch? Eine billige Alternative wähnte ich im wöchentlichen Lotto- und Toto-Blättchen Glück, das von der Westdeutschen Lotteriegesellschaft herausgegeben wurde. Kennt das noch jemand? Für zehn Pfennige
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