Sehnsucht FC Bayern
Schutzgebühr erfuhr ich immerhin etwas über denkbare Mannschaftsaufstellungen des nächsten Wochenendes sowie verletzungsbedingte Spielerausfälle, die sich scheinbar »quotenrelevant« auswirkten. Das war doch was, auch wenn mir die Bedeutung von Quoten noch unbekannt war. Da ich aber nur das Druckerzeugnis wollte und nie einen Lottoschein abgab, zog ich mir irgendwann den Zorn der Lotterieverkäuferin in ihrem Laden zu. Wieder nichts.
Aber es gab Rettung! Ohne es zu ahnen, zeigte sich für mich auf charmante Weise bereits das erste Anzeichen einer aktuellen Online-Nachrichtenquelle – das Telefon. Eines Tages nämlich entdeckte ich beim gelangweilten Blättern durch die unbeachteten Anfangsseiten des Telefonbuches diverse Ansagedienste der Bundespost. Nun aber! Tatsächlich, es funktionierte. Und das immer wieder täglich neu und aktuell. Was für ein Fortschritt. Die Telefonrechnung meiner Eltern lässig ignorierend, klemmte ich mich wochenlang nachmittags an den Hörer und lauschte so spannenden Nachrichten vom Band wie »Der Sportinformationsdienst Düsseldorf gibt bekannt: Hertha-Trainer Georg Gawliczek setzt im kommen Heimspiel gegen Arminia Bielefeld wieder auf die Routine von Gregor Quasten im Tor der Berliner …« So ging das minutenlang. Ganz großes Kino! Ich war begeistert. Für meine Eltern galt das weniger. Telefonieren war noch teuer und die tägliche Bandansage nicht gerade kurz. Auch diese neue Errungenschaft hatte daher bald ein Ende. Für Nostalgiker: Die Telekom hat den Ansagedienst, den es seit 1962 gab, im Jahre 2001 eingestellt. Wie schade!
Dafür sollte sich alsbald ein wahrer Meilenstein in meiner Fankarriere auftun. Das erste Heimspiel. Und dann gleich ein Spitzenspiel: Dritter gegen Erster, FC Bayern gegen Hamburger SV am 9. Spieltag. Meine Vater schenkte mir die gemeinsame weite Fahrt nach München. Nach einem freitäglichen Zwischenstopp bei der schwäbischen Verwandtschaft ging es am Samstagmorgen von Stuttgart aus nach München. Die Kilometerangaben auf der Autobahn waren für mich wie ein viel zu langsamer Countdown. Welch eine Freude, als wir uns endlich bei nur noch zweistelligen Entfernungsangaben befanden. Mittlerweile überholten wir einen Fan-Bus nach dem anderen und ich verrenkte mir beim Betrachten der zum Teil sogar rot-weiß geschminkten Insassen schier den Hals. So etwas hatte ich noch nicht gesehen.
Endlich München, endlich der Olympiaturm aus der Nähe und endlich das Olympiastadion. Ich stand mit Vater ganz oben, in Block J der Nordkurve, und hatte somit eine schöne Übersicht über das imposante Oval der Zuschauerränge. Die Geräuschkulisse der gegenüberliegenden Südkurve zog mich in ihren Bann. Es war schlichtweg gigantisch. Der Eindruck sollte jedoch noch vom Verlauf der kommenden zwei Stunden überboten werden. Ein Lebensmüder machte dabei gleich den Anfang, als er bis kurz vor Anpfiff eine halbe Stunde lang auf dem Dach des Stadions herumturnte. Durch das Acrylglas war er für die Zuschauer bestens zu beobachten. Schließlich holte ihn die Feuerwehr unter dem Gejohle der Zuschauer herunter.
Der HSV unterstrich mit einer 2:0-Halbzeitführung seine damalige Stärke. Sollte meine Heimspiel-Premiere mit einer Niederlage enden? In der zweiten Halbzeit drehten die Bayern das Spiel. Wie schon so oft zu Hause im Radio gehört, hießen die Stationen dabei Breitner – Rummenigge – Tor. Ich war entzückt, ich war begeistert, meine Welt war wieder in Ordnung. 2:2 nach 90 Minuten. Doch das Ende war es noch lange nicht. Das Ende bildete die wohl dramatischste Nachspielzeit, die der FC Bayern in seinen 33 Jahren im Olympiastadion hatte. In der 91. Minute segelte ein Freistoß des HSV in den Bayern- Strafraum. Abwehrspieler Udo Horsmann nahm zum Kopfball mit beiden Armen Schwung und sprang (warum eigentlich?) mit diesen voraus dem Ball entgegen. Schiedsrichter Walter Eschweiler stakste auf seinen Assistenten an der Linie zu und entschied schließlich auf Elfmeter für den Hamburger SV.
Nun war die Hölle los. Ein Elfmeter nach dieser Aufholjagd. Zuschauer kletterten über den Zaun und liefen auf den Platz. Da sich das Ganze auch noch vor der Südkurve abspielte, drohte die Situation zu eskalieren. An eine Ausführung des Strafstoßes war nicht zu denken. Dies auch deshalb, weil mittlerweile Bayern-Spieler, allen voran Paul Breitner, die Südkurve zu beschwichtigen versuchten. Ebenso Uli Hoeneß und Präsident Willi O. Hoffmann. Alles und jeder bemühte sich um
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