Sehnsucht FC Bayern
gar nicht besser beginnen. Zumindest als Fan. Als Kind meiner Eltern sah das schon etwas trauriger aus, denn die hatten sich mittlerweile getrennt, und ich lebte mit meiner Mutter allein. Also ging es auch allein mit Muttern in den Urlaub. Aber wohin? Listig und den neuen Spielplan bereits entsprechend geprüft, schlug ich Oberbayern vor. Ort, Dauer und Programm waren mir einerlei. Hauptsache, der Rückweg führte uns am 13. August über München. Und das gelang! Wobei ich der Fairness halber im Nachhinein zugeben muss, dass es mit Besichtigung der Königsschlösser und Museen ausgesprochen schöne zwei Wochen wurden und ich die Region sehr zu schätzen lernte – ohne zu ahnen, dass ich dort einmal leben würde.
Ohne Eintrittskarte ging es dann zum Auftaktspiel nach München. Schon Tage vorher beschlich mich die Angst, das Spiel könnte ausverkauft sein. Ein ungutes Gefühl, das ich auch heute noch kenne und dazu führt, dass ich mir die Eintrittskarte immer, aber auch wirklich immer im Vorverkauf besorge. Da kann das Stadion noch so groß, die Witterung noch so kalt, die Begegnung noch so belanglos ein. Diese Furcht ist manisch geworden. Ich weiß aber mittlerweile damit umzugehen.
Um es vorweg zu sagen: Das Spiel gegen Bayer 04 Leverkusen war natürlich nicht ausverkauft. Und während meine Mutter das Geschehen vom Olympiaturm aus verfolgte, steuerte ich, nur äußerlich routiniert, der Südkurve entgegen. Wenn schon, denn schon. Ich fühlte mich wie ein alter Hase und genoss das Gefühl, unter Zehntausenden Gleichgesinnter zu sein. Was für eine merkwürdige Form der Geborgenheit, befand ich mich doch sonst als Bayern-Fan in den Stadien in einer kleinen Minderheit. Das hier war anders. Es war so anders, dass ich die Hälfte der Anfeuerungsrufe weder textlich noch vom Rhythmus her kannte. Meine Begeisterung schmälerte dies nicht einmal ansatzweise. Ich begriff mich als Teil der großen Masse, die bei den Bayern-Toren ins Wogen geriet und sich lautstark wie optisch selbst inszenierte.
Das, was ich diesmal im Stadion sah, nahm ich viel bewusster auf als bei meiner Premiere. Ich entzifferte die Sprüche der Aufnäher auf den Kutten und lernte dabei manch derbes Vokabular. Überhaupt war faszinierend zu sehen, wie viele Kuttenträger im Olympiastadion umherliefen. Kutten, die sich heute wohl nur noch vermehrt in Hamburg, in München und bei Union Berlin wiederfinden, waren seinerzeit ein modisches Accessoire. Ich selbst hatte keine Kutte. Und wenn, dann hätte sie mit maximal zwei Aufnähern auch recht peinlich-jungfräulich ausgesehen. Was ich jedoch besaß, war eine Bayern-Fahne. Hier hatte mir meine Mutter ein gesticktes Bayern-Logo von »Fahnen Meindl« auf eine weiß-rote Fahne genäht. Das musste einfach sein. Zu sehr hatten mich in den Monaten davor die Fernsehbilder mit dem Fahnenmeer der Südkurve beeindruckt. Nun war ich einmal selber hier, nutzte die Gelegenheit ausgiebig und schwenkte, was das Zeug hielt. Meinen Platz, wenige Meter unterhalb der Anzeigetafel, habe ich nicht nur genossen, ich habe ihn geradezu ausgekostet. So lange, bis auch der letzte Werbespruch durch die Lautsprecher quäkte und den Zuschauern ein schöner Nachhauseweg gewünscht wurde.
Meiner dauerte noch sieben Stunden auf dem Beifahrersitz im Opel Kadett. Wir hatten 2:1 gewonnen. Ich war glücklich und fühlte mich erstmals im Epizentrum des Bayern-Geschehens. Meine weitere Zukunft sah ich in den Fankurven der Bundesliga klar vor Augen.
Diese Saison markierte einen Wendepunkt für mich als Fan. Ich wurde nämlich flügge und begann erstmals auf eigene Faust zu Bayern-Spielen zu fahren. Als nunmehr 15-Jähriger hatten meine Eltern nichts mehr dagegen. Und mir war es ebenso recht wie ihnen. Nachdem ich meine Mutter in Leverkusen mal eine halbe Ewigkeit vor dem Ulrich-Haberland-Stadion habe warten lassen, weil ich unbedingt noch die Abfahrt der Bayern-Mannschaft verfolgen wollte, war sie es wahrscheinlich auch ein bisschen leid.
Mittlerweile wohnten wir in Bergisch Gladbach, im Ortsteil Refrath, fast unmittelbar an der östlichen Stadtgrenze zu Köln. Der neue Wohnort lag insofern strategisch günstig, als mit der Straßenbahn sowohl das Müngersdorfer Stadion als auch der Kölner Hauptbahnhof gut zu erreichen war. Eine hervorragende Ausgangsbasis für weitere Unternehmungen im Bundesliga-Ballungszentrum Nordrhein-Westfalen. Nun waren es nicht mehr nur die Stadien in Köln oder Leverkusen, sondern immerhin auch Düsseldorf und
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