Sehnsucht FC Bayern
konzentriert zu und lässt einen ausreden. Das ist eigentlich schon alles. Im Prinzip also ganz einfach. Aber versuchen Sie das mal selber im Alltag. Mir gelingt das jedenfalls nicht so ohne weiteres. Ich weiß, dass klingt jetzt, als ob ich von ihm beseelt worden wäre, aber für einen Moment war das auch wirklich so.
Mit dem Mannschaftsflieger wieder zurück in München, besuchten wir zwei Tage später noch das Bundesliga-Heimspiel gegen Werder Bremen. Trotz des 1:0-Sieges kam in mir etwas Wehmut auf. Ich zehrte immer noch von den Eindrücken, mich knapp drei Tage lang im erweiterten Umfeld der Mannschaft bewegt zu haben, und war plötzlich wieder nur einer von 46.000 Fans im Olympiastadion. Der »Fanalltag« hatte mich wieder.
Was soll ich zu Barcelona schreiben? Von der »Mutter aller Niederlagen« im Endspiel der Champions League gegen Manchester United hat jeder Bayern-Fan seine eigenen Bilder im Kopf. So wie sich jeder noch erinnert, was er gerade getan hat, als er vom Fall der Berliner Mauer oder dem Anschlag auf das World Trade Center erfuhr, weiß jeder Bayern-Fan, wie er das Finale 1999 mit den beiden Toren der Engländer in der Nachspielzeit zum 2:1 erlebt hat. Ich war im Nou Camp, verließ den Ort des Grauens sofort mit dem Schlusspfiff und besoff mich in einem Hotel am Stadtrand von Barcelona. Dazu bedurfte es allerdings nicht viel, weil wir zu neunt mit dem Kleinbus erst am Spieltag angereist und entsprechend müde waren.
Als ich am nächsten Tag aufwachte, hatte ich mehrere Sekunden lang die naive Hoffnung, das alles nur geträumt zu haben. Wie ferngesteuert traten wir überwiegend schweigsam die Rückreise an. Mehrfach dachte ich darüber nach, mit dem ganzen Thema »Bayern München« aufzuhören. Frei nach dem Motto: »Danke, das war’s, ich habe viel erlebt, und nun ist es gut.« Welchen Sinn machte das alles noch nach diesem Tiefschlag? Ich musste dabei an meinen Jugendfreund Joachim denken. Den Nürnberg-Fan. Er hatte den »Club« in den Auswärtsspielen beim 1. FC Köln immer nur verlieren sehen, bis er eines Tages darauf keine Lust mehr hatte und kaum noch ins Stadion ging. Joachim stellte sich öfter die Sinnfrage. »Warum lasse ich mir nach einer Niederlage, für die ich persönlich ja nichts kann, dermaßen ein Wochenende vermiesen?« Die Antwort lieferte er dabei gleich mit. »Nach einem Sieg bin ich wiederum total happy. Und zu dem habe ich auch nichts beigetragen!« Das war logisch.
Ich jedenfalls brauchte noch ein paar Tage und Nächte, um das zu verdauen, wobei ich das Spiel bis jetzt immer noch nicht richtig verarbeitet habe. Wenn die beiden Tore der Engländer heute im Fernsehen gezeigt werden, schalte ich sofort um.
Nicht aus Spaß, sondern nur noch aus Gewohnheit, fuhr ich am Samstag drauf nach Leverkusen. Die Werkself hätte uns, wie wir die Bremerhavener zu Saisonbeginn, mit 17:0 vom Platz fegen können. Mich regte nichts mehr auf. Und was machte die Mannschaft? Sie gewann dort mit 2:1. Auch das war mir so egal wie nur sonst etwas. Nach dem Schlusspfiff kamen einige Spieler mit der Meisterschale vor den Bayern-Fanblock. Wen interessierte das? Ich weiß, das war eine dekadente Haltung und wurde dieser fantastischen Bundesligasaison in keinster Weise gerecht. Nie zuvor und danach hat eine Mannschaft die Liga dermaßen beherscht.
Wie gerne hätte ich die Saison jetzt abgehakt. Ging aber nicht. Zwei Wochen später stand noch das Pokalfinale in Berlin auf dem Programm. Zur zeitlichen Überbrückung ging es wenige Tage später zum Freundschaftsspiel gegen den AC Milan. Opel hatte seine beiden Spitzenmannschaften ins Stadion nach Mainz geladen. Apathisch wurden wir dort Zeugen einer wenig verwunderlichen Niederlage. Was konnte uns jetzt noch aufbauen? So großkotzig es jetzt vielleicht klingen mag, eigentlich nur noch ein schneller, weiterer Titel. Dazu kam es nicht. Bekanntermaßen setzte sich Werder Bremen im Endspiel um den DFB-Pokal im Elfmeterschießen durch. Der nächste Tiefschlag. Ich wollte nur noch raus aus dem Berliner Olympiastadion, ab nach Hause, weg von diesen Jubelbildern, die ich nicht mehr ertragen konnte. Ob es nun feiernde Engländer oder feixende Bremer waren. Ich ertrug das alles nicht mehr.
Der FC Bayern schrammte in dieser Saison denkbar knapp am Triple vorbei. Eine souverän errungene Meisterschaft wurde durch zwei unglücklich verlorene Endspiele getrübt. Ich habe oft darüber nachgedacht, ob ein Vor-Ort-Erlebnis wie in Barcelona der eigenen
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