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Sehnsucht FC Bayern

Sehnsucht FC Bayern

Titel: Sehnsucht FC Bayern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Radtke
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je länger ich es mit mir herumführte. Und zweitens würde der nächste Titelgewinn noch mindestens ein Jahr dauern. Der aktuelle Grund war aber, dass das Lübecker Stadion mein 50. deutsches Stadion war, in dem ich die Profimannschaft des FC Bayern spielen sah. Zugegebenermaßen ein etwas bemühter Anlass, wenngleich aber auch kein völlig unpassender. Während ich die Luft auf dem sich allmählich leerenden Parkplatz verpestete, erblickte ich zwei Lübecker Fans, die ebenfalls beim Spiel waren und beide Manchester-United-Trikots trugen. Ich räume ein, in mir kamen Gewaltfantasien hoch. Bei diesem Anblick, zwei Monate nach dem verlorenen Endspiel in Barcelona, fing ich innerlich an zu glühen, wie die Zigarre in meinen Händen. Was ging in diesen Hohlköpfen eigentlich vor, als sie zu diesem Spiel bewusst ein solches Trikot anzogen? Sollte ich einfach milde darüber hinweg sehen? Hatte deren, offenbar von zu viel Marzipan verklebtes, Gehirn nicht begriffen, dass das heutige Spiel vor allem einem Zweck diente, nämlich einen maroden Verein zu sanieren – und zwar ihren Verein, den VfB Lübeck! Kein anderer Gegner in Deutschland und nur wenige aus dem Ausland hätten das Stadion heute so gefüllt. Nein, diese beiden wollten Gästefans provozieren, die Eintritt zu einem Benefizspiel zugunsten ihres Vereins zahlten. Warum tut man so etwas? Und darf man sich dann wundern, wenn man damit Reaktionen provoziert, die man selber eigentlich gar nicht möchte? Aber natürlich ist ja alles nur ein Spaß, nicht wahr? Ursache und Wirkung, was zählt das schon? Wer differenziert da noch? Nur zu gerne hätte ich mal ganz undifferenziert auf meine Weise klar gemacht, was ich von solchen Provokationen halte. Natürlich nur zum Spaß, versteht sich.
    In der Rückrunde ging es mit mir auch privat wieder aufwärts. Meinen Wahlkreis hatte ich bei der Kommunalwahl sicher gewonnen und war mittlerweile Kreistagsabgeordneter. Sinnigerweise schwappte meine Leidenschaft auch in die Politik hinein, und die Fraktion benannte mich, neben einer Reihe anderer Verpflichtungen, zu ihrem sportpolitischen Sprecher. Das klingt jetzt ein bisschen hochtrabend, berührte aber immerhin Themen wie den Sportstättenbau der Kommunen, regionale Sportfeste, den Kreis-Sportbund oder Mittel-Zuweisungen an die Vereine. Das war Beschäftigung mit der Basis im Sport und damit völlig konträr zur Glamourwelt des Profifußballs. Auch das Studium zum Betriebswirt hatte ich inzwischen erfolgreich hinter mich gebracht und belohnte mich selbst gleich mal mit einer Reise zum Auswärtsspiel in der Champions League gegen Real Madrid. Das war dem Anlass doch wirklich angemessen, zumal auch die Königlichen im eigenen Stadion mit 4:2 besiegt wurden.
    Währenddessen feierte sich in diesen Wochen der FC Bayern selbst. Er wurde 100 Jahre alt. Eine ganze Reihe von Festivitäten und Aktionen erfasste den Verein und die Fanclubs. Endlich einmal wurde der FC Bayern nicht nur als Emporkömmling der sechziger Jahre präsentiert, auch die erfolgreichen Jahrzehnte davor rückten endlich etwas ins Licht. Persönlich hätte ich mir zwar mehr thematische Schwerpunkte aus früheren Dekaden gewünscht, aber ich räume ein, dass man es nicht allen recht machen kann. Die meisten Fans interessieren sich nun einmal für die ganz alten Zeiten nicht so sehr. Außerdem fehlte es bei der medialen Aufbereitung der ferneren Epochen an zeitgenössischem Material, weil die Bayern-Geschäftsstelle im Krieg durch einen Bombentreffer zerstört worden und vieles verloren gegangen war.
    Die Entwicklung des Fußballs in Deutschland geht einher mit der Geschichte der Industrialisierung und dem Einfluss, den englische »Gastarbeiter«, meist Ingenieure oder Studenten, gegen Ende des 19. Jahrhunderts hier ausübten. Nicht zufällig wurden drei Viertel der heutigen Bundesligisten zwischen 1893 und 1909 gegründet. Insofern war es interessant zu beobachten, wie andere Vereine in diesen Jahren mit ihrem Hundertjährigen umgingen. Einen Vergleich brauchte der FC Bayern da nicht zu scheuen. Im Gegenteil. Und das hatte nichts mit seiner Festgeldabteilung zu tun. Entscheidend ist, was man daraus macht.
    Ich komme auf das Thema zu sprechen, weil es mich seit jeher nervt, wie von anderen Vereinen, die teilweise deutlich jünger als der FC Bayern sind, als Traditionsvereinen gesprochen wird. Auffällig ist, dass die meisten dieser Vereine ihre beste Zeit zum Teil weit hinter sich haben. Insofern ein zweifelhaftes

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