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Sehnsucht FC Bayern

Sehnsucht FC Bayern

Titel: Sehnsucht FC Bayern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Radtke
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Während man als Fan nach einem solchen Hinspiel doch wenigstens einigermaßen beruhigt zum Rückspiel fährt, herrschte bei den Verantwortlichen rund um das Team routinierte Konzentration. Irgendwann kam die Mannschaft aus einem kleinen Seitenflügel vom leichten Abendessen. Neugierig schlenderte ich auf den sich leerenden Saal zu und sah Co-Trainer Michael Henke, wie er Blätter mit wilden Kritzeleien soeben vom großen Flipchart riss, sorgfältig einrollte und mitnahm. Respekt, dachte ich, der Mann denkt an alles. Schade, das wäre mal ein originelles Souvenir gewesen. Im Buskonvoi und mit Blaulicht voraus ging es dann gen Betzenberg, wo eine in jeder Hinsicht hoffnungslos unterlegene Lauterer Elf auf eigenem Platz mit 4:0 vorgeführt wurde. Die Kritzeleien auf dem Flipchart hatten ihre Wirkung offenbar nicht verfehlt.
    Nach dem Spiel dann wieder ab nach Homburg, zurück ins Hotel, zum Bankett, wo die Mannschaft mit reichlich Applaus begrüßt wurde. Alfons Schuhbeck, der auf den Busfahrten zum und vom Stadion unentwegt in Kochbüchern blätterte, hatte das Küchenteam des Hotels offenbar fest im Griff. Noch vor dem Essen hielt Franz Beckenbauer, wie man es manchmal vom Fernsehen her kennt, eine seiner launigen Reden, bedankte sich bei allen Anwesenden und wünschte allgemein guten Appetit. Das Bankett plätscherte so vor sich hin. Mittlerweile war Mitternacht vorbei, und mein Geburtstag war angebrochen. Antje, meine Freundin, gratulierte mir. »Mach jetzt hier bloß kein Aufhebens um meinen 31. Geburtstag«, hatte ich sie vorher noch angemahnt. Tat sie auch nicht. Sie hatte ihre Vorbereitungen nämlich schon getroffen …
    »Ja, do is es ja, des Geburtstagskind!!!!« Ich zuckte zusammen. Die Stimme mit eindeutig dialektischer Färbung kannte ich nur zu gut. Aber eigentlich nur aus dem Fernsehen. Was war denn jetzt los? Plötzlich stand ER da. Und wenn ich schreibe »ER«, dann kommt nur einer in Frage: die Lichtgestalt.
    Ich brachte keinen vernünftigen Ton heraus. Franz Beckenbauer parlierte drauflos, als ob er mir als altem Freund jedes Jahr persönlich gratulieren würde. Antje lehnte sich genüsslich im Stuhl zurück, während ich mit Not den letzten Bissen herunterschluckte. Im Schlepptau hatte der Kaiser eine Kellnerin, die sich damit abmühte, eine Flasche Champagner zu öffnen. »Ach wos, geben’s her«, nahm er die Sache selbst in die Hand und öffnete – ganz der Profi – die Flasche eigenhändig und schenkte selbst ein. Beckenbauer fragte mich etwas und war sichtlich um vernünftigen Smalltalk bemüht. Ich weiß nicht mehr, was ich geantwortet habe, aber ich fürchte, es muss für ihn etwas verwirrend gewesen sein. Nach gut fünf Minuten war die ganze Szene vorbei. Er wünschte uns aufmunternd noch ein nettes Bankett und entschwand wieder zu seinem Vorstandstisch.
    Ich musste mich erstmal sortieren. Nun gratulierten auch weitere Gäste, die sich ob der kaiserlichen Audienz doch arg wunderten. Nachdem sich die Lage wieder etwas beruhigt hatte, ließ ich die ganze Sache auf mich wirken. Ich nahm den festlichen Ballsaal, den kompletten Bayern-Kader und den Vorstand an den Nachbartischen, das famose Hotel und Buffet noch einmal bewusst wahr und versuchte zu realisieren, was gerade passiert war. Ich erinnerte mich, wie ich sonst meist um diese Uhrzeit nach Europacup-Spielen auf dem Nachhauseweg war und auf Rasthöfen manchmal zwischen LKWs, in meinem Auto sitzend versuchte, etwas Schlaf zu finden, den Kopf auf ein kleines Bayern-Kissen gebettet. Und dann das hier! Das hier war definitiv einfach zu viel für mich. Ich wandte ich mich ab und musste mich erst mal wieder sammeln.
    Wie war ich zu diesem Erlebnis gekommen? Antje hatte im Hotel nachgefragt, ob man mir zum Geburtstag irgendetwas Gutes tun könnte. Man werde sich drum kümmern, hieß es verschwörerisch-diskret. Der Rest ist bekannt. Ich bin später öfter gefragt worden, ob das mit der Aura Beckenbauers denn wirklich stimmt. Von wegen Lichtgestalt und so. Ich kann das bestätigen. Wenn er einen Raum betritt, dann hat man instinktiv das Gefühl, der Raum sei plötzlich voll. Beckenbauer gibt einem trotz der kurzen Zeit, in der er sich mit einem beschäftigt, das Gefühl, man sei für ihn in diesem Moment der wichtigste Mensch auf der Welt. Natürlich »nur« in diesem Moment, aber das weiß man ja. Er schaut einem direkt und klar in die Augen, ohne jemanden unangenehm zu fixieren. Egal, was ringsum passiert, schweift sein Blick nicht ab. Er hört

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