Sehnsucht FC Bayern
miteinander umgingen. So mancher Ruf festigte sich tatsächlich. Der spaßige Salihamidzic gehörte ebenso dazu wie »Lautsprecher« Lothar Matthäus oder Einzelgänger Oliver Kahn, der einfach nur in Ruhe gelassen werden wollte und sich mit Wirtschaftsmagazinen in den hintersten Winkel des Presseshops verzog. Andererseits wurde ich erstmals Zeuge, was es heißt, unablässig um Autogramme gebeten zu werden. Bixente Lizarazu machte es sich einfach. Wie ich später erfuhr, hielt er einfach sein Handy ans Ohr, und wenn ihm einer zu nahe kam, dann nuschelte er einfach etwas auf baskisch. Das verstand ohnehin keiner. Wer traut sich da noch zu stören? Ein toller Trick. Das musste ich mir merken.
Ohnehin waren es eher die Details, die mich bei meinen Beobachtungen faszinierten. Allein schon beim Flug. Das fing mit der streng hierarchischen Sitzordnung von der ersten bis zur letzten Sitzreihe in der Chartermaschine an, setzte sich mit der Bordlektüre aller erdenklichen Sportmagazine fort und hörte bei den Stewardessen auf, bei denen ich hätte wetten können, dass der Festlegung des heutigen Dienstplans ein interner Schönheitswettbewerb der Airline vorausging. Anerkennende Blicke der meisten Spieler, sofern sie nicht ein Wirtschaftsmagazin lasen, schienen meine Theorie zu bestätigten.
Ich erlebte eine extrem gut geölte und bis in die Haarspitzen motivierte Logistik rund um die Mannschaft. Da griff ein professionelles Rädchen ins andere. So ging das die nächsten drei Tage an einem Stück. Am eigenen Leib erlebte ich, welche Wirkung man im Zusammenhang mit dem FC Bayern erzielt. Zur Schar der mitreisenden Sponsoren gehörend, wurden wir in einem äußerst noblen Spielerhotel in Homburg/Saar untergebracht, an dessen Eingang zwei Polizeibeamte Autogrammjäger und jugendliche Bayern-Fans davon abhielten, in die Hotelhalle zu gelangen. Ich hatte mich nie zuvor in einem VIP-ähnlichen Umfeld bewegt. Mein privater oder beruflicher Background gab das einfach nicht her. Und was man nicht kennt, das vermisst man auch nicht. Das erste Mal im Leben stand ich nun quasi auf der anderen Seite. Eine interessante Erfahrung. Man saß in der abgesperrten Hotel-Lobby auf dem Nachbarsofa von Carsten Jancker, nippte an seinem Kaffee, während sich draußen drei Dutzend Bayern-Fans an der Fensterfront die Nasen platt drückten. Ein merkwürdiges Gefühl. So muss sich ein Goldfisch im Aquarium fühlen. Beim Verlassen des Hotels kurz darauf ein ähnliches Bild. Eine kleine Menschentraube versperrte mir zunächst den Weg. Mit »Machen Sie doch bitte für den Herrn eine Gasse frei« sorgten diensteifrige Beamte in Grün für ein Durchkommen. Ich kam mir vor wie Moses, der einst das Meer teilte. Wenn ich wirklich ehrlich zu mir selbst bin, dann war mir die Situation etwas unangenehm. Ich glaube, ich wäre keine guter VIP. Das Hotel, die Plätze im Stadion und der weitere Ablauf des Abends geboten eine gewisse Kleiderordnung. Mit Anzug, Krawatte und kleinem FCB-Sticker am Revers sah ich offenbar so offiziell aus, dass sich ein etwa achtjähriger Junge in Begleitung seines Vaters nur zögernd an mich herantraute.
»Guten Abend, können Sie mir bitte ein Autogramm geben?«
»Äh, ja also, aber ich bin doch kein Spieler.«
»Aber Sie wohnen doch in dem Hotel dort.«
»Ja und?«
»Dann sind auch vom FC Bayern! Unterschreiben Sie jetzt?«
Ich war perplex. So schnell geht das also. Ich hätte es mir leicht machen und unterschreiben können. Tat es aber nicht, auch wenn ich ansonsten oft dazu neige, den einfachen Weg zu gehen. Mir fiel wieder die Anekdote mit Frank Wiblishauser beim Empfang in der Bayerischen Staatskanzlei ein. Umständlich erklärte ich Vater und Sohn, dass ich nur für drei Tage irgendwie zum Reisetross gehörte. Ich glaube, richtig verstanden haben sie es nicht. Das konnte ich ihnen noch nicht einmal verübeln. Mir tat nur irgendwie der kleine Junge leid. Da nahm er schon all seinen Mut zusammen und erlebte dann so eine Enttäuschung. Ist ein kleines bisschen weniger Ehrlichkeit manchmal vielleicht sogar besser?
Bei all der Noblesse, die die Herberge ausstrahlte, war ab etwa vier Stunden vor dem Spiel die Anspannung förmlich spürbar. Immer wieder huschten Mitarbeiter der Geschäftsstelle oder aus dem Betreuerstab mit konzentriertem Blick durch die Eingangshalle des Hotels. Der 2:0-Sieg aus dem Hinspiel wirkte sich bei denen scheinbar nicht beruhigend auf das kommende Spiel aus. Das war auch so eine Merkwürdigkeit.
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