Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sehnsucht nach Owitambe

Sehnsucht nach Owitambe

Titel: Sehnsucht nach Owitambe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Mennen
Vom Netzwerk:
mächtigen roten Turbanen an ihnen vorbei. An ihren Gürteln wippten blank geputzte, geschwungene Säbel, während sie stolz ihre Gewehre in die Luft reckten. Sie bildeten die Vorhut des Maharana von Udaipur, der, wie jedes Jahr, den Tag seiner Thronbesteigung feierte. Der Maharana saß in einer prächtigen Sänfte, die auf dem Rücken eines bunt bemalten Elefanten sanft hin und her schaukelte. Die Sänfte war mit goldenen Metallplättchen beschlagen, auf die eine große Sonne punziert war. Sie war eine Anspielung auf den Sonnengott Surya, von dem die Familie des Maharana abzustammen vorgab. Alle Maharanas dieser Dynastie
nannten sich selbst die »Söhne der Sonne«. Über der Sänfte befand sich ein goldener Stoffbaldachin, an dem viele hell klingende Glöckchen hingen. Auf einem großen Kissen hatte es sich der Maharana im Schneidersitz bequem gemacht. Sein fein geschnittenes Gesicht mit dem kurz geschnittenen grauen Bart zeigte ein mildes Lächeln, während er der Menge auf dem riesigen Zeremonialplatz gemessen zuwinkte. Neben dem gemächlich einherschreitenden Elefanten ging der ebenfalls uniformierte Mahout, der den Elefanten mit einem eisernen Haken den Weg wies. Hinter dem Maharana folgte auf wesentlich kleineren Elefanten das königliche Gefolge, das aus seinen Söhnen und Töchtern bestand. Die Umfassungsmauer der erhöhten Terrasse, die den Palast rechts und links neben dem Haupteingang umgab, hatte genau die Höhe des Elefantenrückens. Der Mahout dirigierte das riesige Tier geschickt zu der Rampe, sodass der Maharana ohne Mühe direkt vom Rücken seines Elefanten auf die Terrasse treten konnte. Als Sohn der Sonne musste sich der Kopf des Herrschers der Mewaren immer über seinen Untertanen befinden. Mithilfe zweier Diener verließ der Maharana seine Sänfte und präsentierte sich dem Volk. Es war mucksmäuschenstill. Erst als er seine Hände erhob, setzte tausendfacher Jubel ein. Die Menschen, die sich auf dem großen Zeremonialplatz vor dem Palast versammelt hatten, waren außer sich. Neben dem Maharana war eine riesige Waage aufgestellt. Auf einer Waagschale befand sich ein Brokatkissen, die andere war leer. Der Maharana nahm auf dem Kissen Platz und gab seinem Wesir den Befehl zu beginnen. Der oberste Hofbeamte klatschte in die Hände, worauf mehrere Diener mit vollen Säcken in den Händen aufmarschierten. Einer nach dem anderen schüttete den Inhalt seines Sackes auf die leere Waagschale. Eine Flut von kleinen Silbermünzen prasselte herab, bis sich die Schale mit dem Maharana anhob und mit der Schale voller Silber im Gleichgewicht stand. Später würden die Diener
das Silber in die Menge werfen. Ricky beobachtete mit offenem Mund die gewaltige Menge an Silbermünzen. Das musste ein Vermögen sein!
    »Was für ein großzügiger Mann dieser Maharana ist«, tuschelte sie begeistert in Richtung ihrer Mutter. Jella rümpfte die Nase. Sie war ganz anderer Meinung. »Anstatt einmal alle Jubeljahre dem Volk etwas Gutes zu tun, wäre es besser, wenn er das Geld in Schulen oder Krankenhäuser investierte«, meckerte sie. »Was denkst du, was das gleich für eine Prügelei geben wird, wenn die Diener das Geld verteilen. Ich sehe schon, dass ich morgen eine Menge zu tun haben werde.«
    »Immer siehst du nur das Negative«, tadelte Ricky, knuffte ihre Mutter dabei aber freundschaftlich in die Seite. Jella lachte. »Du hast ja recht«, meinte sie einsichtig. »Ich sollte wohl einfach versuchen, diesem Tag etwas Gutes abzugewinnen.« Als ihr Blick kurz darauf ihren Mann streifte, verflog die gute Laune wieder. Worüber plauderte er nur so amüsiert mit dieser zickigen Lady Gainsworthy? Nun erdreistete sich diese Person auch noch, ihrem Mann neckisch mit dem Fächer ins Gesicht zu stupsen! Und Fritz quittierte es auch noch mit einem Lachen. Jella fühlte Unbehagen. Es gefiel ihr nicht, wie ihr Mann mit dieser Person herumturtelte. Einen Moment lang war sie versucht, ihm ein deutliches Zeichen zu geben, aber dann erklang noch einmal die Doha, und der Maharana verabschiedete sich von seinem Volk mit erhobenen Händen in das Innere des Palastes. Das war gleichzeitig das Zeichen für die geladenen Gäste, sich von ihren Tribünenplätzen zu erheben und sich in die Durbar zu begeben. Jella nahm Fritz’ dargereichten Arm mit einem frostigen Lächeln entgegen, was jener nicht zu bemerken schien, weil Lady Gainsworthy sich gleichzeitig mit einem verführerischen Augenaufschlag von ihm verabschiedete. Für Jella hatte sie

Weitere Kostenlose Bücher