Sehnsucht nach Owitambe
verlegen. »Ach, das ist ja auch egal.«
»… weil du Baltkorn vor allen vermöbelt hast«, vollendete Sonja zu seiner Überraschung den Satz. »Alle haben es mitbekommen. Ich fand es damals eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass man dir die Schuld an dieser Schlägerei gegeben hat. Zufälligerweise war ich nämlich Zeugin, wie er dich von hinten angegriffen hat.«
»Baltkorn ist eine feige, hinterhältige Ratte«, knurrte Raffael. »Er findet Spaß daran, Leute reinzulegen, von denen er meint, dass sie schon von Natur aus eine schwächere Position haben.«
»Fühlst du dich denn in einer schwächeren Position?«, fragte Sonja erstaunt. Raffael zuckte mit den Schultern.
»Ich bin ein Farbiger. Das sagt doch alles. Allerdings bin ich nicht bereit, zu akzeptieren, dass ich nur wegen meiner Hautfarbe weniger wert sein soll. Diese Einsicht habe ich meinem Vater zu verdanken.«
»Ich wünschte, ich könnte das auch von meinem Vater behaupten.« Ihre Stimme klang plötzlich traurig. »Wenn er herausbekäme, dass wir uns treffen, würde er dir die Haut abziehen.«
»So schlimm wird es wohl schon nicht werden«, meinte er zuversichtlich. »Wenn wir zwei nur zusammenhalten.«
Sie standen immer noch händehaltend dicht voreinander. Raffael hatte plötzlich das Bedürfnis, Sonja zu küssen, doch sie wehrte ihn ab. Das Gespräch hatte sie offensichtlich ernüchtert.
»Wir dürfen uns nicht mehr sehen«, sagte sie entschieden. »Es war ein Fehler, dass ich überhaupt gekommen bin. Du weißt ja nicht, wie grausam mein Vater sein kann! Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn er dir etwas antäte.«
»Ich kann mich wehren«, versicherte er. »Und wenn es trotzdem Probleme gibt, können wir auch von hier weggehen. In drei Wochen habe ich meinen Schulabschluss in der Tasche.« Raffael gab sich betont zuversichtlich. »Wir könnten nach Kapstadt
gehen, und wenn das nicht reicht, fliehen wir zu meiner Schwester nach Indien.«
Sonjas Gesicht entspannte sich, und ihr feines Lächeln kehrte zurück. »Das hört sich so tapfer an. Für mich ist noch nie jemand so entschieden eingetreten.«
Raffael zögerte nun nicht länger, sondern schloss sie fest in seine Arme. Dieses Mal ließ sie es zu. Ihr Gesicht lag wie ein Blütenblatt auf seiner Schulter, und er konnte durch sein Hemd hindurch ihren Atem spüren.
»Dein Vater muss ein ziemlicher Sturkopf sein«, meinte er. »Aber wir werden ihm die Stirn bieten und ihm zeigen, dass unsere Liebe stärker ist als sein Vorurteil. Irgendwann wird er schon zur Vernunft kommen.«
Sonja schüttelte bekümmert den Kopf. »Er wird es nie einsehen«, flüsterte sie. »Du weißt nicht, wie nachtragend ein Nachtmahr sein kann.«
»Nachtmahr?«
Raffael stieß Sonja unbewusst von sich und sah sie entsetzt an. »Willst du damit sagen, dass dein Vater Rüdiger von Nachtmahr ist?«
»Wusstest du das denn nicht?«, gab sie leicht gekränkt zurück. Die heftige Reaktion hatte sie verunsichert.
»O mein Gott!«, stöhnte Raffael und rieb sich die Schläfen. Dann begann er plötzlich zu lachen. »Ich glaube, ich habe ein großes Talent, mir Schwierigkeiten einzubrocken.«
»Das sage ich ja«, meinte Sonja traurig. »Wir dürfen uns nicht mehr sehen. Es gibt für uns keine Zukunft.«
»Natürlich gibt es die! Wir werden einen Weg finden. In drei Wochen können wir fliehen.«
»Das kann ich meiner Mutter nicht antun«, widersprach sie leise. »Es würde ihr das Herz brechen. Außerdem kränkelt sie!«
»Dann nehmen wir sie eben mit uns.« Raffaels dunkle Augen flackerten entschieden auf. Unerschütterliche Zuversicht und
der Glaube an ihre Liebe erfüllten ihn, trotz aller Unwägbarkeiten. Er sah die junge Frau, die bis vor wenigen Tagen noch so unerreichbar für ihn schien und ihm jetzt ihre Liebe gestanden hatte, voller Leidenschaft an. »Ich werde einen Weg für uns beide finden«, versprach er voller Inbrunst. »Dafür verspreche ich dir mein Leben.« Er beugte sich zu ihr vor und verschloss ihre Lippen mit einem leidenschaftlichen Kuss.
Sarah bemerkte die Veränderung ihres Sohnes sofort. Schon am Tag seiner Ankunft in Owitambe erschien er gelöster und zufriedener, als sie ihn jemals zuvor erlebt hatte. Seiner Rückkehr auf die Farm hatte sie bei aller Freude auch mit gemischten Gefühlen entgegengesehen. Raffael und sein Vater waren beide Dickköpfe. Ihr Sohn noch dazu ein Heißsporn mit dem Hang zum Jähzorn. Die Mischung war explosiv, vor allem, weil Sarah fürchtete, dass
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