Sehnsucht nach Owitambe
erstaunt fest. »Keiner hält dich gefangen.«
»Mein Vater will, dass ich die Farm übernehme«, erklärte Raffael bitter. »Für mich ist das eine Art Gefangenschaft. Ich habe andere Pläne für mein Leben. Leider akzeptiert das mein Vater nicht …«
Er starrte in die wärmende Glut. In ein paar Tagen fand wieder das große Sommerfest auf der Farm der Familie Weiß statt. Dann würde er Sonja wiedersehen. Er hatte ihr versprochen, bis dahin eine Lösung für sie beide gefunden zu haben. Doch bislang war ihm keine zündende Idee gekommen. Nach ihrem ersten Treffen hatten sie sich noch zweimal nach der Kirche getroffen. Die kurze Zeit hatte gereicht, um seine Gefühle für die junge Frau zu vertiefen. Er wollte mit Sonja sein Leben verbringen. Dafür würde er jedes Opfer bringen.
Mit der einsetzenden Dunkelheit kamen die letzten Jäger mit fröhlichem Gelächter zurück. Unter ihnen war auch Debe, der Sohn von Nakeshi und Bô. Mit seinen vierzehn Jahren war der Junge bereits größer als seine Mutter. Er hatte ihr spitzbübisches Lächeln und das ausdrucksstarke Gesicht seines Vaters. Stolz zeigte er seinen Eltern das Perlhuhn, das er in einer Falle gefangen hatte. »Fast hätte ein Schakal es mir vor der Nase weggeschnappt«, erzählte er stolz, »aber ich habe ihn mit einem
Stock in die Flucht geschlagen. So … und so … und so!« Pantomimisch stürzte er sich mit einem imaginären Stock auf einen imaginären Schakal und vollführte dabei eine Art Tanz. Alle lachten, selbst Raffael wurde aus seinen grüblerischen Gedanken gerissen. Der Junge setzte sich zu ihnen und fing sofort an zu essen. Heute war ein Freudentag. Es kam nicht oft vor, dass es bei den Buschmännern Essen in Hülle und Fülle gab. Nach dem Mahl begann die alte Chuka an einem anderen Feuer Geschichten zu erzählen. Debe und Bô gingen zu ihr hinüber, um ihren Erzählungen zu lauschen. Raffael und Nakeshi blieben sitzen.
»Ich fühle, dass du noch mehr zu erzählen hast«, begann die Buschmannfrau nach einer längeren Zeit des Schweigens. »Du bist der Bruder meiner Sternenschwester und deshalb auch mein Bruder. Erleichtere dein Herz, wenn du magst.«
Raffael antwortete nicht. Stattdessen stocherte er im Feuer. Tausend Gedanken gingen ihm durch den Kopf, und wie so oft haderte er mit seinem Schicksal, ein Mischling zu sein. Wo war sein Platz in dieser Welt? Dabei konnte ihm wohl niemand helfen.
»Dein Herz wird leicht wie ein Vogel, wenn du deinen Kummer mit mir teilst«, ermunterte ihn Nakeshi noch einmal. Raffael sah sie unentschlossen an. Die Buschmannfrau strahlte eine selbstverständliche Sicherheit aus, die ihn ermutigte.
»Warum sieht jeder in mir nur das, was er ablehnt?«, fragte er sie. Auf ihren fragenden Blick erläuterte er ihr seine Andeutung. »Auf der Schule der Weißen wurde ich immer als Schwarzer behandelt. Bei den schwarzen Arbeitern auf der Farm gelte ich immer als Weißer. Keiner sieht mich so, wie ich wirklich bin.«
»Die Menschen sehen dich so, wie du dich ihnen zeigst«, sagte Nakeshi. »Sie spüren, dass du deinen Platz noch nicht gefunden hast. Wenn du bei den Weißen nicht glücklich bist, dann
geh zu deiner Himba-Familie. Erst wenn du dich selbst erkannt hast, werden dich die Menschen so sehen, wie du bist.«
»Als ob ich nicht wüsste, wer ich bin«, fuhr Raffael auf. Die gut gemeinten Worte erregten sein Gemüt. »Ich bin ein Wanderer zwischen zwei Welten, dessen Schicksal es ist, nirgends akzeptiert zu werden.«
Nakeshi wiegte leicht den Kopf. »Du musst lernen, du selbst zu sein, und nicht wie ein kurzsichtiges Nashorn alle angreifen.«
»Das sind doch nur Worte«, meinte er ungehalten. »Sie helfen mir auch nicht weiter.«
»Ja, es sind nur Worte«, bestätigte Nakeshi. »Sie allein helfen nicht.« Sie beobachtete ihn aus ihren schrägen Augen, was ihn verlegen werden ließ. Plötzlich schämte er sich für sein heftiges Auftreten.
»Ich weiß, dass du es gut mit mir meinst«, entschuldigte er sich. »Aber alles ist im Moment so kompliziert. Ich habe mich in eine weiße Frau verliebt. Sie ist die Tochter des schlimmsten Feindes meines Vaters. Unsere Eltern werden niemals unserer Verbindung zustimmen.«
Nakeshi sah Raffael verständnislos an. »In meinem Volk haben die Eltern nichts in Liebesdingen zu sagen. Jeder Mann und jede Frau wählen den zum Partner, den sie lieben. Wenn ihre Eltern Streit haben, so ist das ihr Problem, nicht das der Liebenden.«
»Du kannst das nicht verstehen«, sagte
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