Sehnsucht nach Owitambe
letztes Mal.
»Du kannst schon mal absteigen«, meinte Mateus. »Ich bringe das Rad allein in Position.«
Raffael nickte und machte sich an den Abstieg, während der Sohn des Vorarbeiters Samuel vorsichtig das Rad in den Wind stellte. Als es sich schließlich zu drehen begann, folgte er ihm. Als Jungen waren sich Mateus und Raffael spinnefeind gewesen,
und auch jetzt betrachtete der junge Herero den Sohn des Chefs mit Misstrauen. Er hatte an seiner Arbeit zwar nichts auszusetzen, dennoch fürchtete er, dass Raffael sich über kurz oder lang als Chef aufspielen könnte und ihn zu irgendwelchen seltsamen Arbeiten auffordern würde, die er selbst nicht verstand. Mateus bangte auch um seine Position. Wenn Raffael jetzt auch auf der Farm arbeitete, würde er hier bald das Sagen haben. Das behagte ihm gar nicht, denn er wusste, wie jähzornig der junge Herr sein konnte.
»Brauchst du mich noch?«, fragte dieser.
»Nein. Für heute sind wir fertig. Ich werde jetzt zur Farm zurückkehren.«
»Gut.«
Raffael zog sein verschwitztes Hemd aus und wusch sich unter dem Wasserstrahl, der mithilfe des Windrades nun aus der Erde gepumpt wurde. Dann füllte er seine Wasserflasche und befestigte sie am Sattel seines Pferdes. »Ich werde erst morgen früh wieder auf der Farm sein«, teilte er Mateus mit. »Ich reite noch in den Busch.«
Mateus feixte. »Hast du vielleicht ein Liebchen dort?«
Raffael bedachte ihn mit einem seltsamen Blick. Für einen Augenblick fürchtete der Herero sogar, dass sein gefürchteter Jähzorn aus ihm herausbrechen könnte. Doch nichts dergleichen geschah. Der junge Herr grinste ihm freundlich zu, schwang sich wortlos auf sein Pferd und ritt davon.
Raffael kannte den Mankettibaum, unter dem sich die Buschmänner gern aufhielten. Er war nicht weit von Erongo entfernt. Nach gut einer Stunde Ritt hatte er ihn erreicht. Ein ganzes Stück vor dem Baum kam ihm Nakeshi lachend entgegen.
»Dein Pferd macht sehr viel Krach«, begrüßte sie den jungen Mann. Raffael grinste. Die Buschmänner hatten ein ausgezeichnetes Gehör, das dem vieler anderer Afrikaner bei Weitem
überlegen war. Mit einem Schwung sprang er von seinem Pferd und begrüßte nun seinerseits herzlich die kleine Buschmannfrau, die er seit mehreren Jahren nicht gesehen hatte.
»Du bist ein kräftiger Mann geworden«, meinte Nakeshi anerkennend. »Komm mit zu unserem Lager. Bô hat einen Springbock erlegt. Wir haben viel zu essen.«
Die Tatsache, dass sie ihr Essen mit ihm teilen wollte, zeigte, wie sehr sie sich freute. Gemeinsam gingen sie das Stück zu dem großen Mankettibaum, unter dem die Buschmänner auch dieses Mal ihr Lager aufgeschlagen hatten. Die Menschen begrüßten ihn freundlich, und auch Bô strahlte, als er den jungen Mann sah. Raffael fiel sofort auf, dass die Gruppe viel kleiner als gewöhnlich war.
»Wo sind die anderen?«, wollte er wissen. »Ich vermisse Gao und Xisa und einige andere.«
Bôs Gesicht wurde traurig.
»Sie sind weg.«
»Zu einer anderen Gruppe?«
Bô schüttelte den Kopf. »Gao liest für den weißen Mann Spuren. Xisa arbeitet mit ihrer Familie auf einer Farm. Sie sind dort eingesperrt wie eure Tiere.«
»Warum sind sie weg?«
Bô zuckte mit den Schultern.
»Sie sagen, dort haben sie immer zu essen, und Wasser gibt es auch im Überfluss«, sagte Nakeshi. »Aber die Wahrheit ist, sie verlieren ihr Leben und ihre Familie. Gao ist dem Gift des weißen Mannes verfallen, das ihr Alkohol nennt. Sein Geist ist verwirrt, und er redet Dinge, die ihm die Llangwasi einreden.«
»Das tut mir leid«, sagte Raffael. Plötzlich musste er an das Volk seiner Mutter denken. Ob ihr Leben sich auch so zu verändern begann? Er schüttelte den Gedanken ab, weil er ihn unangenehm fand. Was hatte er schon mit den Himbas zu tun?
»Lasst uns essen und deine Ankunft feiern«, verkündete Bô.
Er schnitt ein ordentliches Stück Fleisch von dem gegrillten Springbock ab und reichte es Raffael. Nakeshi bot ihm gekochte Wurzeln und etwas Wasser aus einem Straußenei an. Dann bat sie ihn, von sich zu erzählen. Sie fragte nach Johannes und Sarah, und sie erkundigte sich nach Jella.
»Ich vermisse meine Sternenschwester«, seufzte sie traurig. So viele Monde sind vergangen, seit wir uns das letzte Mal sahen. Es wird Zeit, dass ich sie wieder zurückrufe.«
»Wenn das nur so einfach wäre«, meinte Raffael aus vollem Herzen. »Wenn Jella und Fritz hier wären, könnte ich frei sein.«
»Du bist frei«, stellte Nakeshi
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