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Sehnsucht nach Owitambe

Sehnsucht nach Owitambe

Titel: Sehnsucht nach Owitambe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Mennen
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und auch Sonja mussten sich in der evangelisch-lutherischen Christuskirche oberhalb der Innenstadt einfinden. Sie war im Jahre 1910 als Zeichen des Friedens nach den Kämpfen der Deutschen gegen die Namas und Hereros im neogotischen Stil errichtet worden. Der prächtige rote Sandsteinbau mit den weiß umrandeten Fenstern und Giebeln war die prächtigste und auch größte Kirche der Stadt. Kaiser Willhelm II. hatte die Buntglasfenster gestiftet und seine Frau eine prächtige Altarbibel. Doch Raffael hatte an diesem Tag keinen Sinn für die schönen Details in der Kirche. Immer wieder reckte er seinen Hals, um Sonja zwischen ihren Mitschülerinnen auszumachen. Endlich hatte er sie entdeckt. Doch sie hatte keinen Blick für ihn übrig, sondern war ganz in ihr Gebetbuch vertieft. Enttäuscht
gab auch Raffael sich den Anschein, als konzentriere er sich auf den Gottesdienst. In Wirklichkeit prasselten die Ermahnungen des Pfarrers an ihm wie kaltes Wasser ab. Als die Menge der Gläubigen nach dem Ende des letzten Liedes in Richtung Ausgang strömte, blieb Raffael auf seinem Platz sitzen. Er tat so, als wolle er noch etwas in seinem Katechismus nachschlagen. Erst als die Kirche leer war, begab er sich hinaus. Die Schüler hatten sich bereits alle zerstreut und genossen die seltene Freizeit bis zum Mittagessen. Vereinzelt standen Grüppchen von Bürgern aus der Stadt herum, die sich miteinander über die Neuigkeiten der letzten Woche austauschten. Wie gewöhnlich bedachten einige der Gläubigen Raffael mit abfälligen Blicken. Er versuchte es wie immer zu ignorieren, auch wenn ihn ihre Abneigung kränkte. Als er festgestellt hatte, dass niemand mehr auf ihn achtete, machte er sich auf den Weg zu dem Schuppen ein Stück hinter der Kirche. Ehemals hatte er als Warenlager der Schutztruppensoldaten gedient, doch seit die Südafrikaner Südwestafrika unter ihr Protektorat gestellt hatten, stand er leer.
    Sonja saß in der Dunkelheit des Schuppens auf einem halb zerschlissenen Stoffballen, der wohl darin vergessen worden war. Sie hatte ein helles Sommerkleid an und die Haare zu einem geflochtenen Kranz hochgesteckt. Das verlieh ihrem schmalen Gesicht eine gewisse Ernsthaftigkeit, die Raffael sehr gefiel. Sie hatte ihn noch nicht entdeckt. Einen kurzen Moment zögerte er. Plötzlich fürchtete er sich vor einer Abfuhr. Er war es gewohnt, dass hellhäutige Mädchen ihn bestenfalls in Ruhe ließen. Wie konnte er nur annehmen, dass ausgerechnet Sonja ihn mögen konnte? Doch dann drehte sie sich zu ihm um und lächelte. Mit raschen Schritten trat er auf sie zu.
    »Ich dachte schon, Sie kommen nicht mehr«, begrüßte sie ihn mit einer klaren freundlichen Stimme. Er hörte sie zum ersten Mal. Raffael lächelte entschuldigend. »Ich wollte sichergehen, dass niemand mir folgt.« Er räusperte sich verlegen. »Ich
habe mich übrigens sehr über das schöne Gedicht gefreut«, gestand er. »Meinen Sie es ernst mit der Frage, die Sie gestellt haben?«
    Sonjas graublaue Augen blickten ihn klar an. »Ich meine alles ernst, was ich sage.«
    »Ich auch!«
    Raffael versank in den graublauen Ozeanen ihrer Augen. Eine Weile lang sprachen sie kein Wort, sondern sahen einander unverwandt an.
    »Ich habe mich in Sie verliebt, seit ich Sie zum ersten Mal gesehen habe«, gestand er endlich. Er wunderte sich selbst, wie leicht ihm die Worte über die Lippen kamen. Ein Gefühl der Vertrautheit erfüllte ihn und nahm ihm jede Hemmung. Sonja lächelte und nahm seine Hand in ihre. Sie standen immer noch im Dämmerlicht des staubigen Schuppens, doch beiden war es, als machten sie eine Reise durch den Sternenhimmel. Raffaels andere Hand fuhr sanft über die aprikosenweiche Haut des Mädchens.
    »Du bist das schönste Mädchen, das ich jemals gesehen habe«, meinte er ernst. »Ich hatte solche Angst, dass du mich zurückweisen könntest.« Der Wechsel zum vertrauten Du schien ihm die natürlichste Sache der Welt. Sonja schien nichts dagegen zu haben, sondern schmiegte ihren Kopf in seine Hand. »Auch ich habe mich in dich verliebt, vielleicht schon viel früher, als du denkst.«
    »Ach ja?« Raffaels Herz klopfte wie wild. »Etwa auch bei dem Wohltätigkeitsbasar?«
    Sonja schüttelte den Kopf. »Nein, viel früher. Erinnerst du dich an das Sommerfest bei den Weißens am Waterberg vor einem Jahr?«
    »Nur ungern«, meinte Raffael, doch dann merkte er auf. »Sag bloß, du warst auch da? Ich musste leider ziemlich früh das Fest verlassen, weil …« Er schwieg

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