Sehnsucht nach Owitambe
verduften.«
»Ich wüsste nicht, was Sie das angeht«, schnauzte Johannes ungehalten zurück. »Sie hat Malaria! Bringen Sie mir lieber saubere Tücher und einen Krug Wasser sowie einen Teller Suppe für meine Frau und den Jungen, aber ein bisschen plötzlich. Schließlich zahle ich dafür!«
Die Wirtin erschrak über den groben Tonfall und floh zurück in ihre Küche. Wenig später kam sie mit dem Geforderten zurück und stellte es mürrisch auf den wackligen Tisch. Dann verließ sie den Raum und knallte die Tür zu.
Raffael saß verängstigt in einer Ecke des Zimmers und starrte auf seine kranke Mutter. Trotz ihrer dunklen Haut war Sarahs Gesicht fahl und grau.
»Wird Mama sterben?«, piepste er mit zitternder Stimme. Johannes ging zu seinem Sohn und streichelte ihm unbeholfen über sein rötliches Haar.
»Nein«, brummte er. »Sie muss sich nur etwas ausruhen.«
Er inspizierte die Leintücher und tauchte sie nacheinander in das Wasser. »Du kannst mir helfen«, wandte er sich an seinen Sohn. »Wir müssen die nassen Tücher um Mamas Beine wickeln, um das Fieber zu senken. Alle paar Minuten müssen wir sie auswechseln und durch frische Tücher ersetzen. Du kannst immer wieder frisches Wasser holen. Tust du das?«
Raffael nickte eifrig. Er war froh, dass er etwas für seine Mutter tun konnte. Gemeinsam legten sie Sarah unentwegt Wadenwickel an, doch das Fieber sank nur wenig. Johannes versuchte ihr etwas Suppe einzuflößen, aber sie erbrach sie nach den ersten paar Löffeln. Raffael aß den Rest der Suppe und gähnte herzhaft. Es war schon längst Nacht, und er war hundemüde. Sein Vater bemerkte es erst jetzt. Er nahm eine Decke und legte sie für ihn auf den Boden.
»Leg dich dorthin«, forderte er ihn auf und wandte sich gleich wieder seiner Frau zu. Doch sein Sohn blieb stehen. Tränen der Verzweiflung rannen über sein Gesicht.
»Ich will, dass Mama mich ins Bett bringt«, schluchzte er hilflos.
»Das wird sie bald wieder tun«, versuchte Johannes ihn zu beruhigen. »Schlaf jetzt. Damit hilfst du deiner Mutter am meisten.«
Er gab seinem Sohn einen Kuss auf die Stirn und half ihm beim Hinlegen. Zu seiner Erleichterung schlief Raffael gleich ein. Schon bald war sein gleichmäßiges Atmen zu hören.
Sarah erwachte mit einem irrsinnigen Schrei. Ihre Augen waren weit aufgerissen und starrten an Johannes, der neben ihr im Sitzen eingenickt war, vorbei ins Leere.
Sie faselte etwas in ihrer Sprache und schützte mit ihren Händen ihre Scham. Johannes fuhr erschrocken auf und umfasste ihre Schultern, um sie zu beruhigen. Doch seine Frau schlug nach ihm und starrte ihn mit irrem Blick an.
»Ozondjimba-ndimba«, schrie sie angewidert.
Johannes, der Herero sprach und somit auch vom Himba-Dialekt einiges verstand, erschrak. Warum beschimpfte ihn seine Frau mit Erdferkel? Das war ein schlimmes Schimpfwort bei ihrem Volk. Erdferkel waren in ihren Augen widerliche Tiere, weil sie ihr Essen unter der Erde suchten.
»Ruhig, mein Liebes, ganz ruhig!«
Er nahm ein Glas Wasser und führte es an ihre aufgesprungenen Lippen. »Keiner tut dir was«, murmelte er besänftigend. »Du bist in Sicherheit.«
Seine Stimme beruhigte Sarah ein wenig. Für einen kurzen Augenblick klärte sich ihr Blick, und sie blickte ihn irritiert an. Dann schlossen sich ihre Augen, und sie fiel in einen todesähnlichen Schlaf. Für einen Augenblick glaubte Johannes, sie sei tatsächlich tot. Ihre Brust hob sich kaum noch, so flach war ihre Atmung. Verzweifelt streichelte er ihren leblosen Arm. Er wollte nicht noch eine Frau verlieren.
»Ich liebe dich«, schluchzte er mit tränenerstickter Stimme. »Bitte bleib bei mir!«
Warum hatte er Sarah noch nie gesagt, dass er sie liebte? Wusste sie es überhaupt? Die Worte waren bis zu diesem Tag immer nur Rachel, Jellas Mutter, vorbehalten gewesen. Wie eine Heilige hatte sie für ihn immer über allen Frauen gestanden. Sarah hatte sich immer damit abfinden müssen, dass sie nur die zweite Frau in seinem Herzen war. Erst jetzt spürte er, dass das nicht stimmte. Sie hatte längst sein ganzes Herz
erobert. Die Zeit mit Rachel gehörte endgültig der Vergangenheit an. Seine Liebe zu ihr war eine idealisierte Erinnerung. Sarah hingegen war die Wirklichkeit. Was sollte er nur tun, wenn sie nun auch noch starb?
Ein unkontrollierbarer Weinkrampf überkam ihn. Er schluchzte laut auf und konnte sich kaum wieder fassen. Mit tränenblinden Augen starrte er auf die leblose Frau vor ihm und betete
Weitere Kostenlose Bücher