Sehnsucht nach Owitambe
überredet hatte.
Wegen der zunehmenden Unruhen, die sich unter den Namas im Süden und den Herero im Norden breitmachten, hatte Johannes darauf bestanden, nicht direkt in den Nordwesten des Landes zu ziehen, sondern einen Umweg über Okaukuejo entlang der westlichen Etoschapfanne durchs Ovamboland zu machen, um von dort aus in Richtung Westen ins Kaokoveld zu fahren. Es schien ihm sicherer, mit seiner kleinen Familie die Unruheherde weiträumig zu umgehen. Da sie nur zu dritt reisten, schloss sich Johannes, wann immer möglich, anderen Reisenden an. Bis zum Schutztruppenstützpunkt Okaukuejo waren sie sogar in Begleitung einer kleinen Schutztruppe. Außerdem hatten sich ihnen ein fahrender Händler mit einem riesigen Fass voller Branntwein und ein junger Geologe angeschlossen, der den Fluss Kunene im Norden erkunden wollte. Oft schlugen sie ihr Lager auf einer der Farmen auf, die auf dem Weg lagen. Die meisten Farmer waren froh, wenn etwas Abwechslung in ihr einsames Leben kam, und waren gern bereit, sie aufzunehmen, wenn sie dafür ein paar neue Geschichten zu hören bekamen. Hin und wieder wurden sie sogar zu einem einfachen, aber wohlschmeckenden Mahl eingeladen. Vor allem
Theo Lutz, der fahrende Händler, schaffte es fast jeden Abend, sich ein kostenloses Essen zu beschaffen. Sein Vorrat an unterhaltsamen Geschichten schien unerschöpflich zu sein. Außerdem verstand er es, Komplimente zu machen, und eh man sich’s versah, hatte er auch die ein oder andere seiner Waren an den Mann beziehungsweise an die Frau gebracht. Während die Frauen mehr auf Haushaltsgegenstände aus waren, hielten sich die Männer lieber an den Branntwein, den Lutz großzügig vorher verkosten ließ. Johannes fachsimpelte gern mit den Männern, während Sarah sich meistens im Hintergrund hielt. Obwohl keine der Farmerfrauen sie offen unfreundlich behandelte, spürte sie doch ihre musternden, skeptischen Blicke, sobald sie mitbekamen, dass sie mit Johannes verheiratet war. Es war nichts Ungewöhnliches, wenn ein Farmer eine farbige Geliebte hatte, aber es war etwas Unerhörtes, wenn ein Farmer eine Dunkelhäutige heiratete und damit deren Bankert legitimierte. In den Augen vieler Weißer war das Rassenschande. Sarah war es gewohnt, und es kümmerte sie nicht. Sie war viel zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Der kleine Raffael fühlte sich auf der Reise zunehmend wohler. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er Owitambe verlassen. Die Reise schien ihm wie ein einziges großes Abenteuer, und er freute sich, dass er endlich seinen Vater einmal ganz für sich hatte und nicht nur als Lehrmeister für irgendwelche dummen Arbeiten auf der Farm.
Der Junge war sehr wissbegierig. Aber ihn interessierten mehr technische Themen als die Haltung von Kühen. Sobald einmal eine Kleinigkeit an ihrem Ochsenwagen zu reparieren war, kniete er neben seinem Vater und versuchte ihm, so gut es ging, zur Hand zu gehen.
Mit jedem Tag, den sie sich dem Kaokoveld näherten, wurde Sarah schweigsamer. Teilnahmslos saß sie auf dem Kutschbock neben ihrem Mann und hing ihren immer schwerer werdenden
Gedanken nach. Nach wie vor erledigte sie ihre täglichen Pflichten. Sie kochte, packte, antwortete auf Fragen, aber sie war nicht bei der Sache. Ihr Herz und ihre Gedanken waren ganz woanders. Johannes nahm es mit großer Besorgnis zur Kenntnis und versuchte, den Grund für ihre trübe Stimmung herauszufinden. Doch Sarah schüttelte nur den Kopf und verkroch sich noch mehr in sich selbst. Dann wurde sie plötzlich krank. Völlig unerwartet überraschte sie ein Malariaanfall mit hohem Fieber und Schüttelfrost. An eine Weiterreise war zunächst nicht zu denken. Sie schafften es gerade noch bis Okaukuejo, einem kleinen Ort mit steinernem Wachturm am Rande des großen Salzsees, den man Etoschapfanne nannte. Johannes mietete für seine Familie ein kleines, schmutziges Zimmer in dem heruntergekommenen Gasthaus des Ortes und überließ Sarah das einzige Bett. Jella hatte ihnen auch Chinin mit auf die Reise gegeben, was er Sarah sofort einflößte. Doch die Medizin schien nicht anzuschlagen. Sarahs Fieber stieg immer höher, bis sie nur noch delirierte. Johannes fragte die Wirtin, eine hagere Witwe mit verhärmten Gesichtszügen, nach einem Arzt.
»Gibt’s hier nich«, beschied sie ihn unfreundlich. Stattdessen hakte sie misstrauisch nach. »Die Kaffernfrau da in Ihrem Zimmer hat doch wohl nichts Ansteckendes, oder? Sonst können se gleich wieder
Weitere Kostenlose Bücher